Schwarze Schafe in Venedig
nähern.
Kein Anzeichen drohender Gefahr, und doch war mir unbehaglich zumute. Also kramte ich in meinem Mantel, zog das Handy heraus und drückte auf Wahlwiederholung, um meine neue italienische Freundin anzurufen, in der Hoffnung, ihr Telefon drinnen im Haus läuten zu hören. Vergebens. Womöglich hatte sie ihr Handy auf stumm geschaltet, oder ich war vor ihr angekommen, aber ich konnte die Angst, sehenden Auges in mein Verderben zu laufen, nicht so einfach abschütteln. Wie gern hätte ich meine Bedenken von ihr zerstreuen lassen, doch da mein Anruf unbeantwortet blieb, blieben auch meine Zweifel.
Also steckte ich das Telefon unverrichteter Dinge wieder in die Tasche und redete mir ein bisschen Mut zu. Half aber auch nicht viel. Es war lange her, seit ich meine kleine Einbrechernummer das letzte Mal abgezogen hatte, und nun wurde ich auch noch zu einer überstürzten Zugabe genötigt. Was womöglich halb so schlimm gewesen wäre, wenn die erste Vorstellung von Erfolg gekrönt gewesen wäre, aber meine entwürdigende Flucht vor der Polizei hatte nicht mal eine leichte Verbeugung verdient, und ganz ehrlich wäre mir eine Kostümprobe lieber gewesen, ehe ich in ein fremdes Gebäude einstieg, über das ich rein gar nichts wusste.
Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass es schon auf zwei Uhr zuging. Einerseits war ich versucht, einfach da zu bleiben, wo ich war, und abzuwarten, ob sie noch mal anrief. Aber andererseits fürchtete ich die Konsequenzen – ganz besonders die, sie könnte tatsächlich Ernst machen mit ihrer Drohung, meinen geliebten Hammett zu vernichten. Das Leben ist voller Risiken, dachte ich bei mir. Manche war ich bereit einzugehen, andere mochte ich mir nicht mal in meinen schlimmsten Albträumen ausmalen. Und wider besseren Wissens mein Einbrecherbesteck herauszuholen und mich an die Arbeit zu machen schien die Entscheidung zu sein, mit der ich am besten leben konnte. Zugegeben, ich wurde manipuliert wie eine Marionette, aber zumindest hatte ich so noch ein wenig (und wenn auch nur ein winziges bisschen) Kontrolle darüber, was als Nächstes geschah. Hätte ich dem gruseligen Haus den Rücken zugekehrt und wäre einfach gegangen, ich hätte mich immer fragen müssen, ob ich mein Buch womöglich hätte retten können.
Wenn ich ganz ehrlich bin, war mir der Gedanke auch schon gekommen, meine Entscheidung wäre vielleicht ganz anders ausgefallen, wäre der fiese Strippenzieher dieser Schmierenkomödie nicht eine derart atemberaubende Blondine gewesen. Bisher hatte ich noch nie eine Einbrecherin kennengelernt, geschweige denn eine mit Modelmaßen, und ich gebe zu, ich war hin und weg. Ob meine Neugier mir diesmal irgendwas anderes einbringen würde als Schwierigkeiten, war noch nicht abzusehen, aber ich konnte das freudig-erregte Kribbeln in den Adern nicht einfach so abtun. Eins habe ich bei meinen zahlreichen Versuchen, mit dem Rauchen aufzuhören, gelernt: Abstinenz kann bisweilen die Hölle sein, und ich vermisste mein Leben als Dieb schmerzlich. In den vergangenen Monaten hatte es Momente gegeben, da hatte ich blind auf die Wand über meinem Schreibtisch gestarrt und mich mit jeder Faser meines Körpers nach der Gefahr des Unbekannten gesehnt und dem aufregenden Herzflattern, das mich jedes Mal befiel, wenn ich in einem fremden Haus herumschlich. Klar, das Schreiben hatte auch seinen Reiz, aber wenn ich einen Einbruch plante, war ich ein ganz anderer Mensch. Einer, der gegen die Regeln verstieß. Ein Außenseiter. Ein Macher.
Und wo wir gerade von Machern sprechen, meine Füße schienen sich unversehens auf den Weg zu der ungestrichenen Tür vor meiner Nase gemacht zu haben, und meine steif gefrorenen Finger angelten unaufgefordert nach meinem Brillenetui. Die Augen auf das Schloss gerichtet suchte ich aus meiner Sammlung einen mittelgroßen Haken und einen Standardspanner heraus.
Vorsichtig führte ich den Haken in das Schloss ein, übte mit dem Spanner seitlich ein wenig Druck auf den Schließzylinder aus, lehnte mich mit der Schulter gegen die Tür und machte mich an den Stiften im Inneren des Schlosses zu schaffen. Klickend rutschten sie an ihren Platz, das Schloss drehte sich, der Riegel glitt zurück, und die Tür schwang auf, alles in einer einzigen fließenden Bewegung. Man hätte fast meinen können, ich machte das nicht zum ersten Mal.
Leise schloss ich die Tür hinter mir, dann tauschte ich mein Brillenetui gegen die Taschenlampe. Ich stand im Treppenhaus, eine nach
Weitere Kostenlose Bücher