Schwarze Schilde
schlief. Plötzlich vernahm sie etwas Ungewöhnliches, obwohl es aus weiter Ferne zu kommen schien. Es handelte sich um ein tiefes, rhythmisches Dröhnen, das wieder und wieder erklang. War es Donner? Wenn ja, unterschied er sich von jeglichem Donner, den sie bisher gehört hatte.
»Wach auf!« sagte sie und rüttelte die Sklavin sanft an der Schulter. Das Mädchen richtete sich auf und rieb sich verschlafen die Augen.
»Da draußen stimmt etwas nicht«, erklärte Shazad. »Schnell, hilf mir beim Anziehen.« Die Sklavin erhob sich und brachte eine Schüssel mit Wasser, damit sich Shazad das vom Schlaf verquollene Gesicht waschen konnte. Dann bürstete sie ihr das Haar und half ihr in die Kleider. Danach eilte die Prinzessin an Deck.
Der Morgen war grau und trüb, und die letzten Sterne verblassten am Himmel, während sich im Osten ein rosiger Schimmer am Horizont ausbreitete. Shazad fröstelte, denn jetzt, zu Beginn des Frühlings, lag die Nachtkühle noch in der Morgenluft. An Deck war das Geräusch besser zu hören, und die Wachen hatten sich an der nach Süden gewandten Reling versammelt.
Sie überquerte das Deck und versuchte, die Quelle des Dröhnens auszumachen. Im Dämmerlicht meinte sie, ein paar Schatten in etlichen hundert Schritt Entfernung zu erkennen. Als es heller wurde, glaubte sie, vier Schiffe zu entdecken, aber sie wirkten recht ungewöhnlich. Sie wandte sich an den neben ihr stehenden Mann. Es war der Flötenspieler, der die Ruderer antrieb.
»Was ist das?« fragte die Prinzessin.
Er drehte sich um und salutierte lässig. Sein breites Lächeln enthüllte eine Lücke zwischen den beiden Vorderzähnen. »Chiwanische Kriegsgaleeren, Hoheit. Zwei der größten.«
Jetzt, da die Schiffe näher kamen, konnte Shazad Einzelheiten erkennen. Jedes Schiff hatte zwei Rümpfe, und jeder davon war größer als die Kriegsdrache. Die Ruderer schienen auf jeder Seite auf vier Bänken zu sitzen. Ein Zwischendeck verband beide Rümpfe, die mit hohen Holztürmen an Bug und Heck bestückt waren. Die riesigen Segel hingen schlaff herab, da es windstill war. Die Rahen lagen auf Masten, die aus zwei gegeneinander gelehnten Baumstämmen bestanden, um sich gegenseitig zu stützen. Mächtige Geschütze bedeckten die Decks und ragten auf den Türmen empor. Das Dröhnen kam aus den Rümpfen. Riesige Trommeln gaben Hunderten von Ruderern den Takt an.
Saan, der Kapitän, gesellte sich zu ihr. »Habt Ihr schon je solche Monstren gesehen, Hoheit?«
»Niemals«, antwortete Shazad, die trotz ihres Zorns, nicht unterrichtet gewesen zu sein, fasziniert war. »Was für Schiffe sind es? Abgesehen von dem, was ich mit eigenen Augen sehe.«
»Sie sind unendlich langsam, aber es schwimmt nichts Mächtigeres auf dem Meer. Die Chiwaner sind schlechte Seeleute, deshalb bauen sie Schiffe, die nicht umkippen können. Es sind schwimmende Festungen. Die Ruderer sind auch nicht als Leichtmatrosen einzusetzen, weil die Chiwaner Sklaven nehmen, die sie an den Ruderbänken anketten.«
Die Sonne erschien am Horizont und erhellte die violetten, mit Gold durchwirkten Segel der Schlachtschiffe. Die Rümpfe waren purpurrot gestrichen und mit vergoldeten Verzierungen versehen, die Ruder leuchtend weiß. Das stetige Dröhnen erregte Shazad und steigerte ihre Neugier. Sie wollte unbedingt wissen, wie es an Bord dieser Schiffe aussah. Ringsumher unterhielten sich die Matrosen über die näher kommenden Galeeren. Die meisten Bemerkungen waren abfälliger Natur und betrafen die Größe und Unhandlichkeit der Schiffe, ihre Langsamkeit, schlechte Manövrierfähigkeit – und auch die Tatsache, dass es sich um schwimmende Gefängnisse handelte. Sie sprachen jedoch leise und gedämpft. Trotz ihres Missfallens waren die Seeleute ebenso beeindruckt wie Shazad, als sie die mächtigen Symbole chiwanischer Seemacht vor Augen hatten.
Die Prinzessin war nie in Chiwa gewesen, und die einzigen Chiwaner, denen sie je begegnet war, waren der Botschafter und ein paar Kaufleute gewesen. Gerüchten zufolge herrschte im Süden des Landes selbst nach nevanischen Maßstäben großer Prunk und Reichtum; die religiösen Zeremonien waren blutig und ausschweifend, und sie hatten ihren Göttern angeblich schon ganze feindliche Armeen geopfert. Sie trieben meist entlang der Südmeerküste Handel und Krieg, aber seit zwei Generationen hatten sie auch Beziehungen zu Neva geknüpft.
Innerhalb weniger Minuten erschien eine Fahne am Mast des Flaggschiffes: Prinzessin Shazad sollte
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