Schwarze Schmetterlinge
setzen?«
»Wir brauchen jede Verstärkung, die wir kriegen können. Kommst du nach Hause, um zu arbeiten? Es ist ganz schön einsam für Maria, so ohne dich.« Erika vermied elegant den wütenden Blick, den Maria ihr zuwarf.
»Ich habe Urlaub. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Hartman Ermittlungsleiter geworden ist. Ist Ragnarsson immer noch krankgeschrieben?«
»Ja, ausgebrannt, wie es heißt, früher hieß das überanstrengt, oder man hatte Neurasthenie.« Maria schob sich mit der Hand das Haar aus der Stirn und fuhr fort: »Ehe die Schule wieder anfing, war ich mit den Kindern im Mittelmeermuseum in Stockholm. Wir haben eine Ausstellung über die Etrusker gesehen. Die lebten um sechshundert vor Christus in Italien. Wenn sie krank waren, gingen sie nicht zu einem Arzt, sondern zum Töpfer. Tat ihnen der Fuß weh, dann machte der Töpfer einen Fuß in Terrakotta, waren es Kopfschmerzen, dann machte er das Abbild des Kopfes und so weiter. Ihr größtes Problem war offenbar die Impotenz. Massenhaft verwelkte Gemächte aus Terrakotta.« Maria wandte sich von Erika ab und schloss sie dadurch aus dem Gespräch aus. »Wenn sie ihren kranken Körperteil in Lehm abgebildet hatten, dann gingen sie in den Tempel und legten ihn dort nieder. Das war eine Methode, die Last der Krankheit abzulegen und sie zu einer für alle sichtbaren Angelegenheit zu machen.«
»Da komme ich jetzt nicht richtig mit. Was hat das mit Ragnarsson zu tun?«, fragte er.
»Ist es sicher, dass Burnout eine individuelle Krankheit ist? Letzte Jahrhundertwende, als die Menschen großen Veränderungen durch die Industrialisierung ausgesetzt waren, hat man dieselben Symptome festgestellt wie jetzt, aber man gab den Dingen einen anderen Namen. Die Franzosen nannten es die Fin-du-siècle-Langeweile. Zum Mond können wir fliegen, wir können Herzen transplantieren, aber wir sind offensichtlich nicht imstande, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die für Menschen geeignet sind.«
»Wenn man nur auf den wirtschaftlichen Gewinn schaut, dann ist der Mensch eben ein Wegwerfartikel. Was feiert ihr eigentlich?«, fragte er, nachdem er eine Kartoffelpfanne und ein großes Bier bestellt hatte.
»Wir sind deprimiert. Wir blasen Trübsal und essen aus Kummer«, antwortete Erika an ihrer Stelle.
»Ist etwas Besonderes passiert?« Er versuchte wieder Marias Aufmerksamkeit zu erregen, die dasaß und mit dem Salzstreuer spielte. »Erzählt es mir. Hier seht ihr einen Mann mit Hang zur Melancholie. Nur wenige haben so viel Erfahrung im Trübsalblasen wie ich. Warum sind wir deprimiert?«
Maria stützte das Kinn auf die Hände und sah ihn mit weinseligem Blick an. »Um ein Haar wäre ich Gegenstand einer internen Ermittlung geworden. Krister hat ein Band mit einem Verhör abgehört, das ich zu Hause in meiner Tasche hatte, und hat seinem Bruder davon erzählt. Das Ganze ist bei der Presse gelandet. Ich begreife einfach nicht, dass er mir das antun konnte.« Als Maria erst einmal den Mund aufgemacht hatte, kam die ganze Geschichte in einem Rutsch heraus. Erika legte den Arm um sie.
»Ich denke mir schon lange, dass du den Typen abschießen solltest.«
»Der Typ ist aber der Vater meiner Kinder. Ich habe versucht, mit ihm zusammenzuleben. Keiner kann mir vorwerfen, dass ich nicht auf unsere Beziehung gesetzt hätte. Aber jetzt geht es nicht mehr. Ich kann nicht mit jemandem zusammenleben, dem ich nicht vertrauen kann.«
38
Wenn du mich suchst, suchst du den Tod.
Maria Wern las den Zettel, der unter die Scheibenwischer ihres Autos geklemmt war. Es stand vor Erika Lunds Wohnung, wo sie übernachtet hatte. Sie las die Mitteilung noch einmal, in der Hoffnung, dass es ein Irrtum oder ein Witz sein könnte.
»›Wenn du mich suchst, suchst du den Tod‹. Glaubst du, dass das Krister ist? Hat er vor, sich das Leben zu nehmen, oder was soll das bedeuten?«
Erika beugte sich über Marias Schulter, um besser sehen zu können. Die Botschaft, die Maria in ihrer steif gefrorenen Hand hielt, war aus ausgeschnittenen und aufgeklebten Zeitungsbuchstaben in unterschiedlicher Größe zusammengestellt. Maria spürte die Kopfschmerzen hinter der Stirn. Eine große Erschöpfung überkam sie. Krister? Als sie ihre Besitztümer aufgeteilt und sich geeinigt hatten, wie ihr weiteres Leben sich gestalten sollte, hatte es Höflichkeit und Übereinstimmung und eine große Erleichterung darüber gegeben, endlich eine Regelung gefunden
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