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Schwarze Schmetterlinge

Schwarze Schmetterlinge

Titel: Schwarze Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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signalisierte sie ihm mit einer Handbewegung. Er blieb mit hängenden Armen stehen und wartete darauf, dass sie es sich anders überlegen würde, dann sandte er ihr ein kurzes Lächeln und ging zur Tür.
     
    Es hing eine Erwartung in der Luft vor dem abendlichen Konzert des Schwedischen Kammerorchesters unter dem Titel »Jahreszeiten in Musik und Bild«. Ein Durcheinander von Stimmen vor der Garderobe. Festlich gekleidete Menschen, die sich trafen, einander begrüßten und sich unterhielten. Elaine nahm den Fahrstuhl zum Parkett links, um das Echo ihrer Gedanken nicht hören zu müssen: »Frau Fernström, die Arme, sie weiß wohl nichts von den Affären ihres Mannes. Ist wohl auch nicht leicht für ihn, wo sie im Rollstuhl sitzt. Man fragt sich, was die beiden gemeinsam haben. Hoffentlich kommt sie nicht hierher, sodass man sie grüßen muss.«
     
    Es ist ebenso eine Gabe wie ein Fluch, die Gedanken der Menschen zu spüren. Was Elaine betraf, so hatte diese Gabe zu einer selbst gewählten Einsamkeit und Isolierung geführt, seit sie im Rollstuhl saß. Irgendwo unter den festlich gekleideten Frauen war das Werkzeug, das nötig war, um sich endgültig der Qual zu entledigen, die diese Gabe mit sich brachte. Das Gefühl war doppelbödig, eine Todessehnsucht und gleichzeitig eine unrealistische Sehnsucht nach einem ganz normalen Leben ohne unterschwellige Strömungen.
     
    Elaine rollte in den Wirénsaal und bestellte ein Glas Wein. Ein letztes Glas, während sie die Bronzeskulptur von Brixel betrachtete, als würde sie sie zum ersten Mal richtig sehen. Der Nix in Frauengestalt, kraftvoll, wild und voller widerstreitender Gefühle – erfüllt von seiner Musik und schon weit darüber hinaus. Der Nix, der die Frauen in den Tod lockt, sie verführt und verdirbt, aber in Gestalt einer Frau. Eine ungewöhnliche Perspektive. Der Sage nach lebte der Nix unter der Vasabrücke, deshalb läuteten die Glocken der Nikolaikirche nach Osten, Süden und Norden, aber niemals nach Westen, denn man fürchtete, den zu wecken, der im Fluss wohnte.
     
    Was ist der Tod? Kann man sich seinen eigenen Tod vorstellen? Elaine betrachtete ihre Hand, erstaunlich, sie sich ohne Leben vorzustellen, als einen Gegenstand aus Fleisch und Knochen und Sehnen, auf dem Weg zur Vergänglichkeit. Sie bewegte die Finger, kniff sich in die Haut.
     

Das erste Läuten. Elaine stellte das halb volle Glas auf den Tisch und rollte in den Saal. Alles kam ihr entgegen, die Vergangenheit und die Gegenwart, eine Mischung von unterschiedlichsten Empfindungen. Die Musiker, die in den letzten Jahrzehnten hier Konzerte gegeben hatten, das Publikum, die Filmvorführungen, aber auch die Nazis, die sich während des Krieges hier versammelt hatten. Sie musste sich gegen die Empfindungen wappnen und abschirmen.
     
    Das zweite Läuten. Eine zunehmende Last auf der Brust und das Gefühl, keine Luft zu bekommen, überwältigte sie. Die Musiker stimmten bereits ihre Instrumente. Die Bankreihen füllten sich. Elaine suchte hinter sich nach dem Gesicht, das sich ihr während ihrer Meditation gezeigt hatte. Irgendwo zwischen den festlich gekleideten Damen im Saal befand sich die unglückliche Frau, die gekommen war, um ihr über die Grenze zu helfen. Wie seltsam der Mensch doch beschaffen ist. Wenn der Tod dasteht und die Hand ausstreckt und sagt: »Komm«, dann übernimmt die Angst das Kommando. Die Zellen des menschlichen Gehirns sind auf Überleben um jeden Preis programmiert und nehmen keine Rücksicht auf Argumente wie Einsamkeit oder Mangel an Liebe. Der Körper will leben und gedenkt bis zum Letzten zu kämpfen.
     
    Elaine spürte, wie ihr Puls immer schneller ging, und sah sich hastig um. Dann rollte sie wieder zum Ausgang. Ich will noch nicht sterben! Ihre Angst war stark und funktional: Flieh von diesem Ort! Der Körper zitterte, der Mund wurde trocken. Im Fahrstuhl angekommen, bestellte sie sich ein Taxi. Sie hatte das Gefühl, als würde das Gebäude über ihr zusammenfallen oder als würde sich die Erde auftun und den Rollstuhl, sie selbst und den Mantel, den sie der Garderobiere aus der Hand riss, verschlingen. Luft! Sie brauchte frische Luft, sonst würde sie in Ohnmacht fallen, das spürte sie jetzt. Ich will noch nicht sterben! Noch nicht.
     
    Sie kämpfte mit den Eingangstüren und gelangte schließlich in die herbstliche Dunkelheit hinaus. Kein Mensch war auf der Fabriksgatan zu sehen. Der Wind riss an den nackten Ästen der Weide und fuhr wie mit der

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