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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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nie zuvor. Sie war es gewohnt, nach Belieben in seinem Haus ein und aus zu gehen.
    Jetzt konnte sie ihn nicht behüten und ihn nicht kontrollieren.
    »Nein«, sagte sie. »Wütend wird er wohl nie, wenn ich ehrlich sein soll, aber er trifft ja auch niemanden. Wenn sein Moped nicht anspringt, schaut er es überrascht an. Dann bastelt er voller Eifer daran herum. Alles, was praktisch und konkret ist, wie Schrauben und Muttern, das hat er gut im Griff.«
    »Aber wenn Sie zurückdenken. An alles, was in seinem Leben passiert ist. An Kindheit und Jugend. Können Sie sich an etwas erinnern, das ihn wütend gemacht hat?«
    Sie biß sich in die Lippe. Dachte an den Albtraum, der sie bisweilen noch immer heimsuchte. Dachte an das harte Urteil, das folgen würde, dachte, daß Sejer sich gerade so ein Ereignis brennend wünschte. Eine flammende, zerstörerische Wut. Und bei allem mußte Elsa sich eingestehen, daß ihr hier eine Aufmerksamkeit zuteil wurde, wie sie sie seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Und das noch dazu von einem Mann. Zum ersten Mal versuchte sie, das alte Erlebnis in Worte zu kleiden, und sie stammelte ein wenig:
    »Er war acht Jahre alt«, erzählte sie. »Und spielte auf dem Hof. Wir hatten draußen in Gullhaug ein kleines Haus. Emil war als Kind ein ziemlicher Dickkopf. Es war nicht leicht, ihn zum Gehorchen zu bringen. Aber er fürchtete sich auch sehr schnell. Er hatte sogar Angst vor Hühnern.« Sie lächelte, als sie das sagte, und Sejer lächelte zurück.
    »Die Nachbarn hatten einen kleinen Hund«, sagte sie dann. »Ich glaube, einen Beagle. Der war aus dem Haus gelaufen und hatte sich auf unseren Hof verirrt. Ich sah ihn vom Fenster aus. Emil erstarrte vor Schreck, als der Hund plötzlich angelaufen kam. Der Hund sprang an seinen Beinen hoch und wollte spielen. Emil versuchte, ihn abzuschütteln, aber das gelang ihm nicht. Er versuchte es immer weiter und blieb dabei ganz stumm. Ich stand am Fenster und bügelte Hemden; ich wußte ja, daß ich ihm helfen mußte, aber ich war auch verzweifelt, das gebe ich zu. Die meisten Kinder hätten ein Hundebaby doch mit offenen Armen aufgenommen. Aber nicht Emil. Der fing an, das Tierchen zu treten«, sagte sie und stöhnte. »Er trug dicke Stiefel, er trug immer dicke Stiefel, man hätte meinen können, er habe Angst um seine Zehen, aber jedenfalls trat er los. Und traf sehr genau.«
    Sie mußte sich abwenden, als sie das wieder vor sich sah. Die Bilder lösten eine leichte Übelkeit in ihr aus. »Der Hund sprang zurück und blieb zitternd auf dem Boden liegen«, sagte sie. »Ich konnte mich nicht mehr rühren, ich hatte so schreckliche Angst. Und er hörte nicht auf zu treten. Er ging wie wahnsinnig auf den Hund los, und ich versuchte mich loszureißen, während ich das Bügeleisen umklammerte und meinen Augen nicht trauen wollte. Der Hund flog durch die Luft, und Emil lief hinterher und trat ihn und trampelte schließlich aus Leibeskräften auf ihm herum. Mir wurde eiskalt«, sagte sie zitternd. »Ich hatte so etwas in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Als ich endlich nach draußen kam, war fast nichts mehr von dem Hund übrig. Ich holte eine Plastiktüte aus der Küche und schaufelte die Hundereste hinein. Dann habe ich ihn im Garten begraben. Ich habe nicht mit Emil darüber gesprochen, ich wußte nicht, was ich sagen sollte, ich konnte ihn nicht einmal ansehen.«
    Verzweifelt fuhr sie sich mit der Hand durchs Gesicht.
    »Die Nachbarn konnten nie begreifen, was aus ihrem Hund geworden war. Ich streute trockenen Sand über die Blutflecken auf dem Boden und holte Emil ins Haus. Ich tat so, als sei nichts passiert. Aber seither«, sie wagte endlich, Sejer in die Augen zu blicken, »hatte ich endlich eine Art Macht über Emil. Weil ich ihn gesehen hatte. Und danach wagte er nie mehr, mir nicht zu gehorchen.«
    Sejer schwieg und mußte die Geschichte erst einmal sacken lassen. Was er da gehört hatte, gefiel ihm überhaupt nicht.
    »Mit anderen Worten, er wird wütend, wenn er sich bedroht fühlt oder Angst hat«, sagte er endlich. »Und er fürchtet sich vor vielen Dingen. Er hat sich mit gewaltiger Wut verteidigt.«
    »Wir reden hier von einem Hundebaby«, sagte sie müde.
    »Das ist vielleicht gar nicht wichtig«, sagte er tröstend. »Die Menschen fürchten sich vor den seltsamsten Dingen. Haben Sie nie erwachsene, vernünftige Menschen gesehen, die vollständig die Fassung verlieren, wenn eine Wespe sich ins Zimmer verirrt?«
    Elsa mußte

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