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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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versteckt werden mußte. Zusammen hatten sie, voller Panik, Ida zuerst in die Tiefkühltruhe gesteckt und sich dann ihren nächsten Schritt überlegt. Aber warum hatten sie sie so gut versteckt, um sie dann an den Straßenrand zu legen, wo alle Welt sie sehen konnte? Das ergab doch keinen Sinn. Das Fahrrad an der einen Straße, Ida an der anderen. Und wo waren ihre Kleider und der rote Helm?
    Er dachte daran, daß das Vorgehen der Menschen nicht immer leicht zu verstehen ist, nicht immer logisch. Menschen handeln oft aus einem Impuls heraus, und erst im Nachhinein müssen sie dann dafür eine Art Erklärung finden.
    »Bist du nach Lysejordet gefahren und hast Ida dort an den Straßenrand gelegt?«
    Nein, Emil war nicht nach Lysejordet gefahren.
    Wenn er eine Antwort gegeben hatte, schien er sofort auf die nächste Frage zu warten. Sein Blick konnte zwischendurch ziemlich scharf sein. Er beobachtete Sejer verstohlen, er ließ seinen Blick durch den Raum wandern, er lauschte, er legte den Kopf schräg, wenn auf dem Gang etwas passierte. Ab und zu nickte er kurz und schien sich etwas einzuprägen. Sejer glaubte, daß Emil alles erklären wollte, das jedoch, ohne die Würde zu verlieren, die er dadurch gewonnen hatte, daß er die Sprache aufgegeben hatte.
    »Ich glaube, du beschützt deine Mutter«, sagte Sejer. »Du hast Angst, sie könnte Schwierigkeiten bekommen, weil das alles passiert ist. Das verstehe ich gut. Sie hat dir immer geholfen. Ich glaube aber auch, daß du mir gern alles erzählen möchtest.«
    Er blickte in die grauen Augen.
    »Irre ich mich da?«
    »Nein«, sagte Emil. Seine Mundwinkel zitterten ein wenig, und er spreizte unwillkürlich die Finger. Als ihm das aufging, schloß er sie wieder. Jetzt lagen seine Hände wie ein Knoten auf dem Tisch.
    Sejer kam eine Idee.
    »Wenn deine Mutter mir erzählt, was passiert ist, bekomme ich dann ein ganz richtiges Bild der Lage?«
    Emil blickte sofort auf. »Nein, nein«, sagte er eilig.
    »Sie hat also etwas falsch verstanden?«
    Emil nickte.
    »Das war sehr interessant«, sagte Sejer. »Sehr schön übrigens, daß du nickst. Du gibst nicht gern etwas zu. Und sagst nicht gern ja. Aber manchmal kann ein Ja sehr wichtig sein«, fügte er hinzu. »Verstehst du, ich habe schreckliche Angst davor, Fehler zu machen. Ich bin ein ziemlich guter Polizist«, sagte er unbescheiden, und das entlockte Emil ein plötzliches Lächeln.
    »Aber obwohl ich tüchtig bin, brauche ich ab und zu Hilfe.« Er schaute Emil ins Gesicht. »So, wie du Hilfe gebraucht hast. Als dir aufgegangen ist, daß Ida tot war.«
     
    Später fiel ihm der Vogel wieder ein. Vielleicht plapperte Heinrich der Achte in Emils Wohnzimmer vor sich hin, verborgen unter einem Handtuch. Vielleicht hatte er kein Futter und kein Wasser mehr. Sejer mußte eine Lösung finden. Vielleicht könnten sie ihn auf die Wache holen. Astrid Brenningen in der Rezeption könnte auf ihn aufpassen. Es war doch angeblich so leicht, hatte Elsa behauptet, sogar Emil schaffte es. Es war kurz vor elf Uhr abends, als er seine Wohnungstür öffnete. Kollberg hob den Kopf und sah ihn an. Eine einsame Lampe spiegelte sich in den schwarzen Augen, und der Hund stand nicht auf. Sejer nahm die Leine vom Haken an der Wand. Kollberg wollte und wollte doch auch wieder nicht.
    »Du mußt aber«, murmelte Sejer. »Weil du mußt. Das ist so ungefähr das einzige, was noch funktioniert.«
    Sie schlenderten vor dem Block hin und her, bis Kollberg seine steifen Glieder bewegt und ein wenig Wärme in den Leib bekommen hatte. Auch du kannst nicht sprechen, dachte Sejer. Aber in all den Jahren haben wir problemlos miteinander kommunizieren können. Ich verstehe dich auf andere Weise. Muß andere Teile von mir aktivieren, um deine Signale zu deuten. Ich sitze Emil gegenüber und versuche zu verstehen, was er meint. Sein Körper ist so groß und mächtig, er sitzt so still da, aber natürlich sagt er trotzdem so allerlei. Ich sehe die Farbe seiner Haut an, die wirkt gesund, er ist viel im Freien, sein Gesicht ist von Wind und Wetter gegerbt, seine Augen sind grau, wie meine, nur ein wenig heller. Er ist ziemlich gepflegt, er wäscht und kämmt sich. Er ist ordentlich gekleidet, weil seine Mutter dafür sorgt, daß seine Kleider gewaschen werden. Er ist stolz, er hat Selbstachtung. Er ist gesund, sicher ist er stark. Er ist in einer schwierigen Lage, aber er schreit nicht. Jammert nicht. Sitzt still da und wartet. Darauf, daß ich ihn durch die Geschichte

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