Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
lächeln.
»Aber Ida kann ihn doch nicht bedroht haben?« fragte Sejer, fast an sich selbst gewandt. Elsa zuckte zusammen. Schüttelte verwirrt den Kopf, versuchte, seinen Gedanken zu folgen. Jetzt ging alles so schnell. Sie wollte sich aus dem Gespräch zurückziehen, schaffte es aber nicht, sagte nur atemlos: »Ich weiß nicht! Ich war nicht dabei, als es passiert ist! Und er konnte doch nichts erzählen!«
Und dann senkte sich Totenstille über den Raum. Langsam ging ihr auf, was sie gesagt hatte, und sie staunte darüber, daß ihre Verzweiflung nicht viel größer war. Die ganze Zeit haben wir diesen Moment angesteuert, dachte sie. Ich muß es von Anfang an gewußt haben, ich habe mich nur dumm gestellt.
»Erzählen Sie, was Sie gesehen haben«, bat Sejer.
Langsam gab sie auf. Sie ergab sich der Wahrheit sozusagen. Die Erklärung kam, tastend und nervös, aber er zweifelte keinen Moment daran, daß alles, was sie sagte, der Wahrheit entsprach.
»Manchmal fahre ich zu Emil, ohne ihm vorher Bescheid zu sagen«, gab sie zu. »Ich muß gestehen, daß ich das so will. Um ihm auf die Finger zu schauen. Und jetzt wissen Sie ja, daß ich dafür meine Gründe habe. Und so war es damals. Es ist lange her. Mehrere Monate, glaube ich. Er wurde sehr nervös, als ich plötzlich vorgefahren kam. Auf dem Hof stand ein Mädchen. Sie fütterte gerade den Vogel. An warmen Tagen bringt Emil den Käfig manchmal nach draußen, damit Heinrich Luft und Sonne genießen kann. Ich fand das arg bedenklich. Ich dachte an die Gerüchte, die entstehen können, wenn jemand sieht, daß bei Emil ein kleines Mädchen ein und aus geht. Ich erkundigte mich nach ihrem Namen und ihrer Adresse. Sie sagte, daß sie in Glassverket wohne. Sie erzählte auch, daß sie mit dem Rad unterwegs gewesen war und dann den Vogel pfeifen gehört hatte. Ich weiß nicht, ob Emil sie überhaupt wirklich bemerkt hat, beide schienen eigentlich nur mit sich beschäftigt zu sein. Sie mit dem Vogel und er mit seinem Moped. Ich sagte ihr, sie solle wegbleiben und nicht wieder zu Besuch kommen. Darauf erhielt ich keine Antwort. Eigentlich sah sie mich trotzig an und lächelte nur. Und dann fuhr sie weg, und danach habe ich sie nicht mehr gesehen.« Elsa rutschte in ihrem Sessel hin und her. »Ich meine, vor der Katastrophe nicht mehr«, flüsterte sie.
»Sie wissen also nicht, ob das Idas erster Besuch bei Emil war?« fragte Sejer.
»Danach habe ich ihn nicht gefragt. Sie wissen doch, daß er keine Antwort gibt. Aber ich habe sie nur dieses eine Mal zusammen gesehen. Es hat mir sehr zu schaffen gemacht, aber ich habe alles verdrängt. Und dann sah ich eines Abends die Nachrichten. Am 2. September. Sie zeigten das Bild eines verschwundenen Mädchens. Ich habe sie sofort erkannt. Es war die Kleine, die Emil besucht hatte. Das ist natürlich ein Zufall, sagte ich mir, aber Angst hatte ich doch. So große Angst, daß ich nicht einmal gewagt habe hinzufahren, um selbst nachzusehen. Das habe ich dann erst am 3. September gemacht. Ich wollte bei ihm putzen. Deshalb fahre ich doch zu ihm«, fügte sie hinzu, »und um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. An diesem Tag, dem 3. September, wollte ich nun also putzen. Zuerst rief ich an. Er war unmöglich am Telefon. Er sagt oft nein, wenn ich anrufe und mein Kommen ansage, aber darauf achte ich nicht weiter. An diesem Tag war er dann aber anders. Er hatte Angst. Er wirkte fast verzweifelt«, erinnerte sie sich. »Ich wurde mißtrauisch. Und dann wurde ich nervös«, gab sie zu, »denn bei Emil weiß man nie. Und das Verschwinden dieser Kleinen machte auch mir schreckliche Angst. Also fuhr ich los, um meine Arbeit zu verrichten und um festzustellen, ob bei Emil etwas nicht stimmte.«
Verzweifelt schaute sie Sejer über den Tisch hinweg an.
»Er hatte die Tür abgeschlossen«, sagte sie. »Und das Schlüsselloch zugeklebt. Ich weiß nicht, womit, vielleicht mit Kaugummi. Ich habe mit meinem Schlüssel herumgestochert, aber das half nichts. Also fuhr ich nach Hause, um etwas zu holen, womit ich die Tür aufbrechen konnte. Ich hatte solche Angst«, sagte sie, »als sei nun endlich das passiert, wovor ich mich immer schon gefürchtet hatte. Also habe ich dann einfach die Tür aufgebrochen, ich konnte einfach keine Rücksicht mehr nehmen. Nicht auf die Tür, die danach ziemlich ramponiert aussah, nicht auf die Nachbarn, die mich vielleicht sehen konnten. Als ich endlich in seiner Küche stand, benahm er sich ganz seltsam. War so
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