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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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sich die Augen. Seine Gedanken gefielen ihm gar nicht. Deshalb wählte er die Nummer von Saras Hotel in New York. Sie war ausgegangen.
    Es war spätabends. Die Stadt schwelte wie ein erlöschendes Feuer zwischen blauschwarzen Hügeln. Er könnte nach Hause fahren und einen Whisky trinken. Vermutlich würde er problemlos einschlafen. Daß er selbst einfach ins Bett gehen und schlafen konnte, während Ida in der tiefen Dunkelheit verschwunden war, während Helga mit wehen Augen wartete, machte ihm arg zu schaffen. Am liebsten wäre er einfach losgelaufen. Mit offenen Sinnen herumgewandert. Dort draußen, wo Ida war. Die Suchmannschaften konnten noch immer keine Ergebnisse melden.
    Er fuhr zusammen, als an die Tür geklopft wurde. Jacob Skarre steckte den Kopf herein.
    »Bist du noch nicht zu Hause?« fragte Sejer. »Was treibst du denn noch so spät?«
    »Dasselbe wie du, nehme ich an. Herumtrödeln.«
    Skarre schaute sich im Büro des Chefs um. Unter Sejers Schreibtischlampe stand eine Figur aus Salzteig. Sie stellte einen Polizisten in blauer Uniform dar und stammte von Sejers Enkel. Jetzt hob Skarre die Figur hoch und starrte sie an.
    »Die wird langsam schimmelig«, sagte er. »Hast du das schon bemerkt?«
    Sejer stellte sich taub. Nie im Leben würde er diese Figur wegwerfen. Sie sah zwar ein wenig verkommen aus, aber immerhin stank sie nicht.
    »Darf ich aus dem Fenster rauchen?« fragte Skarre.
    Er wartete mit einer Prince in der Hand geduldig auf die Antwort. Erhielt ein kurzes Nicken und setzte sich auf die Fensterbank. Machte sich an dem sperrigen Fenster zu schaffen.
    »Spurlos verschwunden«, sagte er und blies Rauch in die Septembernacht. »Nicht einmal eine Haarspange haben sie gefunden.«
    »Sie hatte nichts, was sie verlieren konnte«, sagte Sejer. »Keine Armbanduhr, keinen Schmuck. Aber eins freut mich ja doch.«
    »Wirklich?« fragte Skarre niedergeschlagen.
    »Daß wir keine blutigen Kleider gefunden haben. Keinen verlorenen Kinderschuh auf der Straße, kein in einen Straßengraben geworfenes Fahrrad. Ich finde es gut, daß alles verschwunden ist.«
    »Warum denn?« fragte Skarre verwundert.
    »Weiß ich nicht«, gab Sejer zu.
    »Das bedeutet sicher nur, daß er ordentlich ist«, sagte Skarre. »Mich kann das nicht gerade aufmuntern.« Er zog wütend an seiner Zigarette. »Dieses Warten«, sagte er, »ist eine Belastung.«
    »Auf jeden Fall für Anders und Helga Joner«, sagte Sejer trocken. Skarre schwieg. Sollte das eine Zurechtweisung sein? Er blies noch immer Rauch aus dem offenen Fenster, und einiges kam in das dunkle Büro zurück. Danach hielt er die glühende Kippe im Waschbecken unter fließendes Wasser.
    »Wir sollten wohl Feierabend machen?«
    Sejer nickte und zog die Jacke von der Stuhllehne.
    »Was sagst du zu den Presseberichten?« fragte Skarre später. Sie standen vor der Wache auf dem Parkplatz. Beide ließen die Wagenschlüssel klirren.
    »Die Journalisten sind schon in Ordnung«, meinte Sejer. »Wenn du dir ihre Texte ansiehst. Aber dann gibt es ja noch das, was Layout genannt wird. Und Pressefotografen haben wirklich Sinn für Dramatik.«
    Skarre dachte an die Bilder in den Tageszeitungen. Das Bild von Ida, das Bild eines Fahrrades, wie sie eins hatte, ein gelbes Nakamura, und das Bild eines Trainingsanzugs, wie sie einen getragen hatte. Und: »Hierhin wollte Ida.« Gestrichelte Linien. Eine Großaufnahme von Lailas Kiosk.
    »Sie haben eine Fortsetzungsgeschichte angefangen«, sagte Sejer. »Ich hoffe nur, es gibt nicht zu viele Folgen.«
    Sie trennten sich mit einem kurzen Nicken. Zu Hause ging Sejer in die Küche und griff zu dem Sack mit dem Hundefutter. Der Hund Kollberg, der auf dem Boden gelegen und auf seinen Herrn gewartet hatte, bewegte sich äußerst vorsichtig. Aber das Geräusch, mit dem das Trockenfutter in den Napf fiel, brachte ihn auf die Beine. Langsam schleppte er sich in die Küche. Der Hund, ein Leonberger, war so alt, daß er alle Statistiken sprengte. Er musterte Sejer mit schwarzem, unergründlichem Blick. Es fiel Sejer schwer, diesen Blick auszuhalten. Er wußte, daß der Hund erschöpft war, daß man ihm dieses Leid eigentlich ersparen müßte. Bald, dachte er. Nicht gerade jetzt. Ich warte, bis Sara wieder da ist. Er schnitt sich eine Scheibe Brot ab und belegte sie mit Wurst. Dann holte er eine Tube Mayonnaise aus dem Kühlschrank. Eine Weile blieb er stehen und wägte das Für und Wider ab. Die Mayonnaise erschien ihm als Ausschweifung. Er drehte den

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