Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
von Autos zu begreifen. Das Buch war alt und mit Öl beschmiert. Einige Seiten waren in der Mitte durchgerissen und mit Klebeband geflickt. Er betrachtete das Bild eines Kotflügels, des rechten, wie an Tommes Opel.
»Erst müssen wir schleifen«, sagte Willy energisch. »Wir brauchen zwei Sorten Schmirgelpapier, feines und grobes.« Er schaute aus zusammengekniffenen Augen ins Buch. »Nummer 180 und Nummer 360. Der Kotflügel wird zuerst mit trockenem und danach mit feuchtem Papier abgeschliffen. Wir brauchen einen Schleifklotz und Spachtelmasse«, sagte er. »Rostentferner. Entfettungsmittel. Kommst du noch mit, Tomme?«
Tomme nickte. Eigentlich war er weit weg. Willy las weiter.
»Wir müssen auch noch ein Stück außerhalb der beschädigten Stelle schleifen. Hier steht: Fangen Sie in der Mitte des Schadens an und arbeiten Sie sich in kreisförmigen Bewegungen nach außen. Hol dir was zu schreiben. Du mußt alles besorgen, was wir brauchen. Wenn wir den Kotflügel abmontiert haben.«
»Ja, einkaufen kann ich«, sagte Tomme. »Aber ich bin total abgebrannt.«
Willy schaute hoch. »Ich kann das erst mal auslegen. Du wirst ja nicht mehr ewig in die Schule gehen. Früher oder später verdienst du doch.« Dann schaute er wieder in sein Buch. »Wir brauchen auch allerlei Werkzeug. Ich kann versuchen, welches auszuleihen.«
Er legte das Buch weg, kam auf die Beine und ging zum Auto. Beugte sich über den Kotflügel, breitbeinig, die Hände in die Seiten gestemmt. Mit Kennermiene betrachtete er den Schaden. Seine Schultern krümmten sich wie zwei Segel, erfüllt von Tatendrang.
»Na, Tomme. Dann los.«
Tomme hörte das Rascheln des Nylonoveralls und das klagende, knirschende Metallgeräusch des Wagens. Dazwischen war Keuchen und Schnaufen zu vernehmen. Ein alter Opel Ascona, der fünfzehn Jahre lang zusammengehalten hat, läßt sich nicht ohne zu klagen auseinanderreißen.
»Ich kenne an der Tankstelle einen Typen«, keuchte Willy. »Bastian. Der wird mir alles leihen.«
Willy kennt so viele, die er fragen kann, dachte Tomme.
»Verdammt, Willy«, sagte er erleichtert. »Wenn du das schaffst, dann stehe ich gewaltig in deiner Schuld.«
»Aber sicher doch«, sagte Willy lächelnd.
Seine Augen leuchteten auf.
»Und du darfst nicht den Kopf hängen lassen. Das kommt schon wieder in Ordnung. Da bin ich mir sicher.«
Er zerrte und bog noch immer am Metall herum. An seinem Hals trat eine Ader hervor.
»Nein, zum Henker, ich muß drunter.«
Er kroch unter das Auto und war verschwunden. Neben dem Rad kamen seine langen weißen Finger zum Vorschein.
»Eigentlich kapier ich das alles nicht«, sagte Tomme. »Ich raff das überhaupt nicht. Wie das passieren konnte.«
Er fand alles, was passiert war, einfach schrecklich. Sein Gesicht rötete sich.
»Keine Panik«, sagte Willy gelassen. »Ich sag doch, das kommt wieder in Ordnung.« Dann fiel ihm etwas ein. »Was hat deine Mutter gesagt?«
Tomme stöhnte. »Viel zuviel. Daß sie nicht bezahlen wollen. Daß sie nicht wollen, daß ich zu dir gehe. Aber du weißt ja, sie denken vor allem an das andere…«
»Himmel, ja. Nein, ich bin nicht der Traum der Schwiegermütter, das hab ich immer schon gewußt«, sagte Willy grinsend. »Aber verdammt, du bist doch erwachsen. Du kannst ja wohl selbst entscheiden, mit wem du deine Zeit verbringst.«
»Das hab ich meiner Alten auch gesagt«, log Tomme. Dann fiel ihm noch etwas ein. »Du, sollten wir uns die Bremsen auch gleich ansehen?«
»Hör jetzt auf«, mahnte Willy. »Die Bremsen sind prima. Jetzt mußt du mir mal helfen. Wir müssen den Kotflügel abkriegen. Der sitzt tierisch fest. Halt das mal.«
Tomme sprang vom Tisch. Er versuchte, sich zusammenzureißen. Es war eine Erleichterung, daß Willy sich um alles kümmerte. Tomme selbst fühlte sich wohl in seiner Rolle als Handlanger. Nur manchmal kam er sich von dem älteren und umtriebigeren Freund wie erdrückt vor. Als Tomme endlich den Führerschein bekommen hatte, nachdem er beim ersten Versuch durchgefallen und danach gebührend mit Hohn und Spott übergossen worden war, fühlte er sich auf neue Weise ebenbürtig. Er konnte selbst fahren. Willy aber hatte die Zeitungen nach einem brauchbaren Wagen durchkämmt, den Tomme für seine ersparten zwanzigtausend bekommen konnte. Die Konfirmation allein hatte fünfzehntausend eingebracht.
»Bei Opel kannst du nichts falsch machen«, sagte Willy überzeugt. »Solider Motor, vor allem bei den älteren Modellen. Auf die
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