Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
Verschluß ab und kam auf einen seltsamen Gedanken. Er konnte die Mayonnaise wie eine Acht aufs Brot drücken und dann essen. Während Helga Joner es kaum schaffte, Atem zu holen.
*
3 . S EPTEMBER .
Sejer erwachte um sechs Uhr. Der Hund lag neben ihm auf dem Boden. Er registrierte die schwache Bewegung der Matratze und hob den Kopf. Gleich darauf piepte der Wecker dreimal kurz. Sejer bückte sich über die Bettkante und streichelte Kollbergs Kopf. Der Schädel des Hundes war unter dem Fell deutlich zu spüren, Sejer fühlte die Beulen unter seiner Handfläche. Danach dachte er an Ida. Sie war sofort in seinen Gedanken anwesend. Er reckte seinen langen Körper im Bett und versuchte, das Licht hinter den Vorhängen zu deuten. Das gelang ihm nicht, er mußte aufstehen und nachsehen. Er starrte hinaus in feuchten Morgennebel, der wie ein Deckel über der Stadt lag. Zum Frühstück aß er zwei Scheiben Knäckebrot mit Käse und Paprika. Schleppte den Hund die Treppen hinunter und drehte eine Runde um den Block. Ließ den Hund wieder ins Wohnzimmer. Die Uhr zeigte 7.15, als er die Tür zu seinem Büro öffnete, mit frischen Zeitungen unter dem Arm. »Noch immer keine Spur von Ida.«
Bei der ersten Besprechung des Tages wurden Aufgaben verteilt. Im Fall Ida Joner war nicht viel zu verteilen. Für den Moment bestand ihre Arbeit darin, frühere Täter zu überprüfen. Die, die ihre Strafe abgesessen hatten, die, die im fraglichen Zeitraum Hafturlaub gehabt haben konnten, und alle, die angeklagt, aber niemals verurteilt worden waren. In Wirklichkeit warteten sie alle darauf, daß jemand über Idas toten und mißhandelten Körper stolperte, damit sie mit der Sache weiterkommen konnten. Ihr Bild hing an der Tafel im Besprechungszimmer. Ihr Lächeln jagte ihnen durch den Leib, wenn sie an dem Bild vorbeikamen, und irgendwo gab es doch noch die schwache Hoffnung, daß sie ganz plötzlich mit einer abenteuerlichen Erklärung vor dem Haus ihrer Mutter auftauchen könnte.
Wenn das Telefon klingelte, was dauernd passierte, fuhren alle herum und starrten den an, der den Hörer abnahm, um möglicherweise seinem Gesicht entnehmen zu können, ob es um Ida ging, denn das war ja schließlich möglich. Wer gerade Telefondienst hatte, zuckte bei jedem Klingeln zusammen. Sie wußten, daß der bestimmte Anruf kommen würde.
Eine weitere Suchaktion wurde angeleiert. Wie weit sie die Suche ausdehnen sollten, war noch eine offene Frage. Sie hatten ja keinen richtigen Ausgangspunkt.
Sejer fuhr zu Helgas Haus. Er sah ihr Gesicht hinter dem Fenster, wahrscheinlich hatte sie den Wagen gehört. Er stieg langsam aus, ganz bewußt, um ihr keine Hoffnungen zu machen.
»Ich stehe kurz vor dem Aufgeben«, sagte sie mit schwacher Stimme.
»Ich weiß ja, daß es schwer ist«, sagte er. »Aber wir suchen noch immer.«
»Ich habe immer gewußt, daß Ida zu gut war, um wahr zu sein«, sagte sie.
»Ist sie denn nicht wahr?« fragte Sejer vorsichtig.
Helgas Unterlippe zitterte.
»Sie war wahr. Aber jetzt weiß ich nicht mehr, was sie ist.«
Wortlos ging sie ins Wohnzimmer. Und dann zum Fenster.
»Meistens stehe ich hier. Oder ich sitze in ihrem Zimmer. Ich tue sonst nichts. Ich habe Angst, sie zu vergessen«, sagte sie ängstlich. »Davor, daß sie aus meinen Gedanken gleiten könnte, davor, zu denken und zu handeln, ohne daß sie dabei ist.«
»Niemand verlangt, daß Sie etwas tun«, sagte Sejer.
Er setzte sich aufs Sofa, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Er sah, daß ihre Haare ungewaschen waren und daß sie dieselbe Kleidung trug wie bei ihrer ersten Begegnung. Er wußte nicht einmal, ob sie nicht darin geschlafen hatte.
»Ich würde gern mit Ihrer Schwester sprechen«, sagte Sejer.
»Mit Ruth? Sie wohnt nur ein paar Minuten von hier, in Madseberget. Sie kommt nachher zu mir.«
»Sie verstehen sich gut?« fragte er.
»Ja«, lächelte sie. »Das war immer schon so.«
»Und Idas Vater. Anders. Er hat zwei Brüder, die ebenfalls in der Nähe wohnen. Idas Onkel?«
Sie nickte. »Tore und Kristian Joner. Beide sind verheiratet und haben Familie. Sie wohnen bei der Trabrennbahn.«
»Haben Sie viel Kontakt zu ihnen?« erkundigte er sich.
Sie schüttelte den Kopf. »Das nicht. Es ist seltsam. Die wenigen Verwandten, die man hat, die sieht man fast nie. Aber ich weiß, daß sie gestern mitgesucht haben. Allesamt.«
»Hat sich irgendwer von ihnen gemeldet?«
»Sie trauen sich nicht«, sagte sie leise. »Sie haben sicher Angst. Ich weiß
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