Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
Farbe kannst du scheißen. Stell nicht so hohe Ansprüche. Wenn du einen kackgelben Opel in gutem Zustand findest, dann nimmst du den.«
Doch der Opel, den sie dann fanden, war schwarz. Der Lack war noch dazu unversehrt. Tomme schwebte im siebten Himmel. Er konnte nicht mehr stillsitzen, er mußte fahren, fahren.
»Was ist mit der Polizei?« fragte Willy vorsichtig. »Die treiben sich wegen deiner Kusine doch sicher überall rum?«
»Ja.«
»Haben sie schon mit dir gesprochen?«
»Nein, Himmel«, rief Tomme entsetzt. Er ließ für einen Moment los, und Willy klemmte sich einen Finger ein.
»Konzentrier dich, Mann! Du mußt festhalten, wenn ich schraube!«
Tomme hielt aus Leibeskräften. Seine Fingerknöchel waren weiß.
»In so einem Fall, bei einem kleinen Mädchen und so«, keuchte Willy unter dem Wagen, »da drehen sie doch total durch. Vielleicht haben sie sogar ihren Vater überprüft. Haben sie?«
»Weiß nicht«, murmelte Tomme.
»Aber die wollen alles mögliche über die Familienverhältnisse wissen«, sagte Willy. »Vielleicht erkundigen sie sich auch nach dir?«
Tomme nickte. Er kam sich vor wie eine Puppe, als er diesem Wortschwall lauschte. Der beruhigte ihn und machte ihn zugleich nervös.
»Ihr Vetter zu sein ist bestimmt an sich schon eine Belastung«, meinte Willy. Endlich war er aufgestanden. Der Kotflügel war gelockert.
»Vor allem, wenn sie nie gefunden wird«, sagte er. »Wenn die Wahrheit nie ans Licht kommt. So was macht doch Generationen lang böses Blut. Weißt du, daß hier draußen vor vierzig Jahren mal ein Mord geschehen ist?«
Tomme schüttelte den Kopf.
»Aber ich weiß das. Ein junger Typ hat ein Mädchen von sechzehn vergewaltigt und umgebracht. Die Familien wohnen noch immer hier. Und verdammt, du kannst es ihnen ansehen.«
»Was denn ansehen?« fragte Tomme. Er wurde immer nervöser.
»Daß sie die ganze Zeit daran denken. Daß ihnen klar ist, daß alle wissen, wer sie sind. Sie starren auf den Asphalt und so.«
Er wischte sich Rotz von der Oberlippe.
»Die Mutter dieses Typen, der den Mord begangen hat, ist jetzt fast siebzig. Und man kann es ihr schon aus der Ferne ansehen.«
»Ich nicht«, sagte Tomme. »Ich weiß nicht mal, wer sie ist.«
Sein Kumpel sollte jetzt die Klappe halten. Tomme fand dieses Gerede über Tod und Verderben schrecklich. Er interessierte sich nur für das Auto. Das sollte repariert werden. Es sollte heil und blank sein und unversehrten Lack aufweisen, wie früher.
Sie weiß, daß sie hübsch ist, dachte Sejer wehmütig. Er hielt Idas Bild in der Hand. Er glaubte, sie alle hören zu können, einen immer lauter werdenden Chor aus Onkeln und Tanten, Nachbarn und Bekannten. Herrgott, was für ein reizendes Kind! Er dachte an seine eigenen Tanten, wie sie ihn in die Wange gekniffen hatten, wie einen kleinen Hund oder wie ein Wesen, das nicht sprechen konnte. Und so ein Wesen war ich ja auch, fiel es ihm nun ein. Ein dünner, verlegener Junge mit viel zu langen Beinen. Er schaute immer wieder das Bild an. Jahrelang hatte Ida sich in den Augen der anderen gespiegelt und dort ihre eigene Schönheit gesehen. Das hatte sie zu einem selbstsicheren Kind gemacht, einem Kind, das an Bewunderung und vielleicht auch Neid gewöhnt war. Gewöhnt, bei Freundinnen und Eltern seinen Willen durchzusetzen. Obwohl Helga ja energisch und streng wirkte; Ida waren klare Grenzen gesetzt worden. Sie hatte nie gegen diese Regeln verstoßen. Wem war sie begegnet, wer hatte die mütterlichen Mahnungen übertönt? Womit hatte er Ida in Versuchung geführt? Oder war sie einfach zu Boden geschlagen und in ein Auto geworfen worden?
Betörend und zutraulich, dachte er. Diese Kombination gefiel ihm überhaupt nicht. Es war unmöglich, in die braunen Augen zu schauen, ohne innerlich weich zu werden. Er versuchte, diese drei Dinge zusammenzubringen. Warme Gefühle für ein hinreißendes Kind, danach die körperliche Lust und zum Schluß die Zerstörung. Er begriff die beiden ersten. Sogar die Sache mit der Lust konnte er erfassen. Diese Reinheit, diese Schwäche, die ein Kind ausmachten. Dieses glatte, unverdorbene Weiche, das, was so gut roch, was zitterte und bebte. Daß man selbst so stark war, daß man einfach zugreifen konnte, eben weil man erwachsen war. Aber dann zuzuschlagen oder das Leben aus einem zarten kleinen Wesen herauszupressen, das konnte er sich nicht vorstellen. Dieses panische, zappelnde Leben, das langsam zwischen den Händen verrann. Müde rieb er
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