Schwarze Themse
Bessie
in den Empfangsraum, wo eine braun gekleidete Frau mittleren Alters zusammengekauert auf der alten Couch saÃ, die Arme schützend vor der Brust verschränkt. Sie atmete langsam und offensichtlich mit Mühe. Im Kerzenlicht wirkte ihr Gesicht farblos; ihr blondes, reichlich von grauen Strähnen durchzogenes Haar war auf ihrem Kopf aufgetürmt wie ein Haufen altes Stroh.
Hester betrachtete ihr zusammengekniffenes Gesicht sorgfältiger und bemerkte, wie weià sie um Mund und Augen herum war und dass eine leichte Röte ihre Wangen überzog. Wahrscheinlich eine Bronchitis, die sich zu einer Lungenentzündung auswachsen konnte. »Wie heiÃen Sie?«
»Molly Struther«, antwortete die Frau, ohne aufzusehen.
»Wie geht es Ihnen?«
»Müde genug, um zu sterben«, antwortete die Frau. »Weià nicht, warum ich überhaupt noch hergekommen bin, auÃer dass Flo es mir gesagt hat. Hat gesagt, Sie würden mir helfen. Das nenn ich bekloppt. Was können Sie schon tun? Verändern Sie die Welt?« In ihrer Stimme lag kein Hohn, dazu hatte sie keine Kraft.
»Ihnen ein warmes, trockenes Bett geben, wo Sie gröÃtenteils ungestört sind, und etwas zu essen«, antwortete Hester. »Viel heiÃen Tee, vielleicht mit einem Schlückchen Brandy, jedenfalls, solange noch welcher da ist.«
Molly schnappte verblüfft nach Luft und bekam einen Hustenanfall, bis sie nur noch würgte. Hester holte warmes Wasser aus dem Kessel, tat einen Löffel Honig hinein und reichte es ihr. Molly trank es dankbar, aber es dauerte ein paar Minuten, bis sie wieder ein Wort herausbrachte.
»Danke«, sagte sie schlieÃlich.
Hester half ihr in eines der Zimmer mit zwei Betten, während Bessie sich daran machte, eine Wärmflasche zu erhitzen. Eine halbe Stunde später lag Molly im Bett, die Decken bis zum Kinn hochgezogen, die Augen weit aufgerissen vor Ãberraschung, weil sie das einfach nicht gewöhnt war.
»Wir brauchen Geld!«, sagte Bessie zu Hester, als sie wieder in der Küche waren. Sie schürte vorsichtig den Herd und überlegte, wie lange er wohl noch brannte, ohne Kohle nachzulegen. Es war eine schwierige Balance, nur so viel aufzulegen, dass es weiterbrannte, ohne auszugehen.
»Ich weië, räumte Hester ein. »Margaret bemüht sich, und ich habe eine Liste mit Namen, bei denen wir es versuchen können, aber die Leute geben nur ungern, weil die Frauen Prostituierte sind. Sie fühlen sich wohler, wenn ihre Spenden nach Afrika oder sonst wohin geschickt werden.«
Bessie stieà tief in ihrer Kehle ein Knurren aus, das deutlich von ihrer Verachtung sprach. »Dann finden sie also, Afrika ist besser als wir?«, wollte sie wissen. »Oder frieren sie da mehr, haben mehr Hunger oder sind vielleicht kränker?«
»Ich glaube nicht, dass es etwas damit zu tun hat«, antwortete Hester und wärmte sich die Hände an der schmiedeeisernen Wand des Herds.
»Natürlich nicht!«, stieà Bessie hervor, füllte den Kessel wieder aus dem Wasserkrug in der hinteren Ecke neben dem steinernen Ausguss und stellte ihn zurück auf die Kochstelle. »Es hat was mit Gewissen zu tun, damit hatâs zu tun! Es ist nicht unsere Schuld, wenn Afrikaner verhungern oder sterben, es ist zu weit weg, als dass es uns etwas ausmacht. Aber wenn unsere eignen Leute erfrieren und verhungern, dann fühlen wir uns schlecht deswegen. Wir sollten vielleicht nicht vergessen, dass es manchen Leuten schon besser gegangen ist.«
Hester antwortete nicht.
»Vielleicht werfen wir ihnen auch vor, dass sie nicht besser sind, als sie sind«, fuhr Bessie fort und trocknete sich die Hände an der Schürze ab. »Sie verkaufen sich auf der StraÃe, was eine Sünde ist, oder? Und wir könnten uns die Hände schmutzig machen, wenn wir etwas mit ihresgleichen zu tun haben! Spielt keine Rolle, dass unsere Männer zu ihnen gehen, um was zu kriegen, was wir ihnen nicht geben wollen â weil wir Kopfschmerzen haben oder weil es sich nicht gehört oder weil
wir keine Kinder mehr wollen!« Sie schlug die Herdklappe zu. »Es gehört sich nicht, über so etwas Bescheid zu wissen, also tun wir so, als wüssten wir von nichts! Und deshalb wollen wir auch nicht, dass sie was zu essen bekommen und gepflegt werden, wir tun lieber so, als wäre es nicht wahr. Gott steh uns bei, dass es nicht unsere Tochter, unsere
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