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Schwarze Themse

Schwarze Themse

Titel: Schwarze Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Seele sieht aus, als würde sie jeden Augenblick ohnmächtig.«
    Ruth Clark schien tatsächlich so sehr zu leiden, dass sie sich nicht mehr selbst helfen konnte. Als Hester sich über sie beugte, um ihr auf der einen Seite aufzuhelfen und Bessie auf der anderen, konnten sie nicht mehr tun, als sie ins erste Schlafzimmer zu bringen. Bessie stützte sie, halb an den Türrahmen gelehnt, während Hester eine Hand brauchte, um die Tür zu öffnen. Zusammen zogen und schleiften sie sie zum Bett hinüber. Sie plumpste schwer darauf. Ihre Augen standen offen, schienen jedoch nichts wahrzunehmen, und sie sagte auch kein Wort.
    Sie war schwer wie Blei, und obwohl Hester einige Übung darin hatte, bereitete es ihr beträchtliche Mühe, ihr die Kleider auszuziehen, während Bessie eine halbe Tasse heißen Tee mit einem Tropfen Brandy holen ging.
    Als Hester die Frau bis auf die Unterwäsche ausgezogen, sie
ins Bett gesteckt und die Decke über sie gebreitet hatte, nahm sie ihr die Nadeln aus dem Haar, damit sie es bequemer hatte. Sie berührte ihre Stirn. Sie war sehr heiß und die Haut trocken. Sie musterte eine Weile ihr Gesicht und versuchte einzuschätzen, was für eine Frau sie wohl war und wie lange ihre Krankheit schon dauerte.
    Sie musste sehr plötzlich gekommen sein. Hätte sie sich langsam entwickelt – Halsentzündung, enge Brust, dann Fieber  –, hätte Louvain sie sicher früher gebracht. Sie sah nicht aus wie eine Frau von schwächlicher Konstitution oder als würde sie zu Infektionen neigen. Die Haut an Armen und Körper war fest, und ihr Hals und ihre Schultern waren von guter Statur, nicht dünn und leicht bläulich wie bei jemandem, der häufig krank ist. Ihr Haar war dick, im Grunde ziemlich hübsch, mit schweren Locken, und wenn es ihr gut ging, schimmerte es wahrscheinlich. Ihre Züge waren regelmäßig und gefällig. Was war das für ein Mann, der sie einfach so vor die Tür warf, nur weil sie krank wurde? Es war bestimmt nicht chronisch! Wenn sie sich erholte, würde sie wieder eine gesunde, vitale Frau sein, und sie war nicht älter als Mitte dreißig.
    Handelte es sich um die Geliebte eines Schiffseigners, dessen Lebensumstände es ihm unmöglich machten, sich richtig um sie zu kümmern? Hatte er Angst, sie könnte sterben, und er würde die Anwesenheit ihres Leichnams in seinem Haus nicht erklären können?
    Oder war sie gar Louvains Geliebte, und er wollte das aus irgendeinem Grund verheimlichen?
    Hatte sich der Ruf der Klinik so weit verbreitet, dass Louvain sogar auf den Docks davon gehört hatte? Oder hatte Monk etwas erwähnt, als er den neuen Auftrag angenommen hatte?
    Im Grunde spielte das alles keine Rolle. Sie stellte auch den anderen Frauen keine Fragen. Alles, um was sie sich kümmerte, war, dass die Frauen wieder auf die Beine kamen. Warum sollte das bei dieser Frau anders sein?

    Bessie kam mit dem Tee, und sie stützten Ruth gemeinsam und konnten sie dazu überreden, einen Teelöffel voll Tee nach dem anderen zu schlucken. Schließlich legten sie sie wieder hin, zogen ihr die Decke bis zum Kinn hoch und ließen sie in einen Schlaf sinken, der so tief war, dass er einer Ohnmacht glich.
    Draußen vor dem Zimmer griff Hester in ihre Tasche und holte das Geld heraus. Einen Souvereign und die vierzehn Schillinge gab sie Bessie. »Gehen Sie und kaufen Sie Essen, Karbol, Essig, Brandy und Chinin«, wies sie sie an. Sie legte noch einen Souvereign dazu. »Genug für den Rest der Woche. Gott sei Dank, müssen wir nicht auch noch Miete zahlen! Den Rest gebe ich Squeaky. Das sollte ihm ein Lächeln entlocken!« Und mit neuer Zuversicht folgte sie Bessie den Flur hinunter.

3
    Am zweiten Tag, an dem Monk sich mit dem Fall Louvain befasste, verließ er das Haus vor Tagesanbruch, sodass er kurz vor acht Uhr bei Sonnenaufgang auf den Kais eintraf. Es würde ein strahlender, schneidend kalter Tag werden. Mit der schnell fließenden Tide wehte ein stürmischer Wind herein, und das Licht glitzerte in schartigen Mustern auf den Wellen. Die Barkassen, die langsam den Fluss hinauffuhren, waren dunkel, die sich ausbreitende Morgendämmerung zauberte noch keine Farben hervor. Grau, Silber und bedrohliche Schatten wurden von pechschwarzen Masten durchschnitten, die träge über den Himmel strichen und sich kaum bewegten, die Rahnocken klumpig, denn die

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