Schwarze Themse
hübsch eingepackt und verschnürt. Sie warf einen raschen Blick darauf und reichte dann eines Hester und eines Monk. Ihre erwartungsvolle Miene verriet, dass sie offensichtlich darauf wartete, dass sie ihre Geschenke gleich auspackten.
Hester fing mit ihrem an, löste vorsichtig den Knoten und wickelte das Papier von der Schachtel ab. Darin befand sich eine äuÃerst kunstvoll gestaltete Kamee, kein Frauenkopf wie gewöhnlich, sondern ein Mann mit sorgfältig ausgeführtem
Helm und wallendem Haar, in reiche Filigranarbeit aus WeiÃ- und Gelbgold gefasst.
Hester keuchte entzückt, dann schaute sie Callandra an und sah die Freude in deren Augen.
Monk wickelte sein Päckchen ungeduldiger aus und zerriss das Papier. Sein Geschenk war eine goldene Uhr, ein vollkommenes Stück, künstlerisch wie handwerklich. Seine Freude war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, noch bevor er den Mund aufmachte, um ihr zu danken.
»Damit Sie mich nicht nur nicht vergessen, sondern auch immer daran erinnert werden, wie sehr Sie mir am Herzen liegen«, sagte Callandra ein wenig heiser. »Und jetzt muss ich gehen. Ich bin schon viel zu lange hier. Ich mag Menschen nicht, die auf Wiedersehen sagen und es dann nicht fertig bringen, auch wirklich zu gehen.« Sie lächelte noch einmal und trat dann zur Tür hinaus, die Monk ihr aufhielt. Ihre Röcke hingen schief, ihre Jacke passte nicht ganz, und ihr Hut war ein wenig zu einer Seite gerutscht, aber sie hielt den Kopf hoch und schaute sich nicht mehr um.
Monk machte die Tür zu und kehrte zum Feuer zurück, die Uhr noch in der Hand. Hester umklammerte die Kamee. Sie freute sich unbändig für Callandra. Ihre Freundin hatte Kristian seit langem so hoffnungslos und von ganzem Herzen geliebt, dass es undenkbar war, ihr etwas anderes zu wünschen als Glück. Die Kälte von drauÃen hing noch in der Luft, und Hester war sich bewusst, dass sie beide allein zurückblieben. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Das Bewusstsein, dass es sie gerade jetzt besonders traf, stand wie eine dritte Person im Raum zwischen ihnen.
»Es musste so kommen«, sagte sie und hob langsam den Blick, um Monk anzusehen. »Wir hätten uns nichts anderes für sie wünschen können. Wenn es andersherum wäre, und wir beide an ihrer Stelle wären und sie an unserer, würde ich auch nach Wien gehen oder irgendwo anders hin, wenn du mich bräuchtest â oder mich bei dir haben wolltest.«
Er lächelte. »Ja?«
Sie wusste, dass er Spaà machte, die Angst bekämpfte, damit sie sie nicht sah. Sie tat, als bemerkte sie es nicht. »Ich hätte gerne Tee«, sagte sie. »Soll ich welchen machen?«
Â
Um zehn Uhr am nächsten Morgen war Monk wieder auf den Docks, und Hester durchforschte die Schränke im Hauptraum in der Portpool Lane. Es war von allem deutlich weniger vorhanden als am Tag zuvor. Spätestens morgen würden sie zumindest etwas Desinfektionsmittel, Karbol, Lauge, Essig und Kerzen kaufen müssen. Es wäre gut, auch etwas Brandy dazuhaben und mit Alkohol verstärkten Wein, um ihn der Kraftbrühe zuzufügen. Sie hätte leicht ein weiteres Dutzend nützlicher Dinge aufzählen können, die ihnen fehlten.
Das Mädchen, das tags zuvor gekommen war, schlief immer noch tief und fest, aber es atmete leichter und hatte bereits ein wenig Farbe bekommen. Wenn sie es sich leisten könnten, sie eine oder zwei Wochen lang zu füttern, würde sie sich wahrscheinlich völlig erholen.
Hester wandte sich vom Schrank ab und öffnete eben die Tischschublade, als Bessie hereinkam. Sie hatte die Ãrmel aufgerollt und eine Schürze umgebunden, auf der alte Blutflecken prangten.
»Da ist noch eine gekommen, die kaum Luft kriegt«, sagte sie müde, das Gesicht voller Sorgenfalten, denn die Arbeit war zu viel. Sie hatte, solange sie denken konnte, versucht, damit zurechtzukommen, doch sobald sie eine Frau wieder auf die Beine gestellt hatten, kam schon die nächste durch die Tür, wenn nicht gleich zwei. »Warum hat der Herr uns nicht besser geschaffen?«, fügte sie in scharfem Ton hinzu. »Oder den Winter weggelassen. Das muss er doch vorhergesehen haben! Jedes Jahr das Gleiche!«
Hester machte sich nicht die Mühe, ihr zu antworten, denn sie hatte keine Antwort darauf, es war eine rhetorische Frage. Sie lieà von dem ab, was sie hatte tun wollen, und folgte
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