Schwarze Themse
und Tränen standen darin, als wäre sie kurz davor, einen bedeutsamen Schritt zu tun, und halte sich an dem letzten Augenblick des Vertrauten fest, weil es ihr zu lieb war und sie es nicht ohne Schmerz verlassen konnte.
»Ich fahre nach Wien«, sagte sie mit einem leichten Zittern in der Stimme. »Um dort zu leben.«
»Wien!«, wiederholte Hester, als könnte sie es kaum glauben, und doch ergab es auf niederschmetternde Weise Sinn. Wien war die Heimat von Kristian Beck, bevor er mit seiner ersten Frau nach London gezogen war, wo er Callandra kennen gelernt hatte. Seine Frau war ermordet worden, und eine Zeit voller Trauer und schmerzlicher Enthüllungen war gefolgt. Vielleicht ebenso schwer wie die Erkenntnis des wahren Charakters seiner Frau war für Kristian die Entdeckung seiner Abstammung gewesen. Alles, woran er zuvor geglaubt hatte, war
dadurch auf den Kopf gestellt worden. Ging Callandra nach Wien, weil Kristian beschlossen hatte, dorthin zurückzukehren? Was für eine Rolle spielte er bei ihrer Entscheidung? Hester hatte einen ganz trockenen Mund vor lauter Angst, Callandra würde wieder verletzt werden, hatte sie doch schon so viel ertragen.
Aber Callandras Augen strahlten, und sie verrieten keine wilden Hoffnungen, sondern eher ein tiefes Einvernehmen. »Kristian und ich werden heiraten«, sagte sie leise. Ihre Stimme klang zärtlich und vollkommen sicher. »Er hat beschlossen, sich der Vergangenheit zu stellen, sie offen zu betrachten und die Antworten aufzudecken, wo immer sie auch begraben sind.«
Sie wandte sich von Hester an Monk. »Es tut mir Leid, William. Mit Ihnen an verschiedenen Fällen zu arbeiten hat mir viele Jahre lang, in denen ich ohne Sie nichts gehabt hätte, Bedeutung und ein Ziel gegeben. Noch mehr hat mir Ihre Freundschaft bedeutet, auf ihre eigene Weise genauso viel wie die zu Hester. Aber Kristian wird mein Mann werden.« Sie wurde ein wenig rot, senkte die Augen und blickte dann wieder auf. »Ich möchte mit ihm zusammen sein, und wenn ich mein Zuhause und meine liebsten Freunde hier dafür verlassen muss, ist das der Preis, den ich bereitwillig zahle. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für die Zuneigung, die Sie mir stets entgegengebracht haben, und für Ihre Fähigkeiten und Ihre Loyalität bei Kristians ⦠und meiner Verteidigung. Ich weiÃ, was wir ohne Sie erlitten hätten.«
Hester trat einen Schritt vor, nahm Callandra in die Arme und hielt sie fest. Sie spürte, dass Callandra sie ebenso umklammerte. »Ich freue mich sehr für Sie«, sagte sie von ganzem Herzen. »Gehen Sie nach Wien und werden Sie glücklich. Was auch immer Kristian dort findet, erinnern Sie ihn stets daran, dass er nicht für die Sünden oder die Beschränktheit seiner Vorfahren verantwortlich ist. Unsere Vergangenheit können wir niemals ungeschehen machen, erst recht nicht die eines anderen.
Aber uns gehört die Zukunft, und ich freue mich sehr, dass Sie die Ihre mit Kristian teilen. Es könnte nicht besser sein.« Sie gab Callandra einen Kuss auf die Wange, drückte sie noch einen Moment fest an sich und trat dann zurück.
Callandra wandte sich Monk zu, das Gesicht immer noch voller Unsicherheit.
Er tat genau das Gleiche wie Hester. »Gehen Sie, und seien Sie glücklich«, wünschte er ihr aufrichtig. »Ich wüsste nicht, wer es mehr verdiente als Sie beide. Und wenn Sie die Probleme der Vergangenheit gelöst haben, wird es andere gute Gründe geben, für die zu kämpfen lohnt. Wenn irgendjemand das weiÃ, dann ich.«
Callandra schniefte laut, schluckte und gab den Kampf schlieÃlich auf. Sie lieà den Tränen freien Lauf, stand ganz still da und lächelte. Als Monk ein Taschentuch hervorholte, dankte sie ihm und schnäuzte sich.
»Vielen Dank«, sagte sie und reichte es Hester. »Ich bitte um Verzeihung. Aber ich kann, wenn ich Ihnen schon abtrünnig werde, nicht auch noch Ihre Taschentücher stehlen. Meine Kutsche wartet. Werden Sie mir erlauben, mich mit dem Rest meiner Würde zurückzuziehen?«
»Natürlich«, sagte Hester mit belegter Stimme. »Abschiede sind lächerlich. Einer reicht völlig aus.«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar«, sagte Callandra, und ihre Augen liefen schon wieder über.
Sie griff in ihr Ridikül, und diesmal fand sie sehr schnell das, was sie suchte. Sie holte zwei kleine Päckchen hervor,
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