Schwarze Themse
Ratten macht es nichts aus, wennâs warm und sauber ist, auch nicht mehr als uns. Ein bisschen verschüttetes Mehl oder ein paar Krümel, und sie sind glücklich.«
»Eigentlich ist es gar nicht so schlimm«, antwortete sie. »Ich würde nur gerne die paar, die wir haben, auch noch loswerden.«
Er grinste breit. »Was kann ich für Sie tun, Miss? Ich könnte ihnen was vorsingen? Das würde jeden abschrecken. Ratten haben sehr gute Ohren. Ich singe mir âne halbe Stunde die Lunge aus dem Leib, dann betteln sie um Frieden. Ob Ihnen das gefiele oder nicht, die meisten würden in die nächste StraÃe fliehen. Und Ihre Helferinnen mit ihnen.«
Hester lächelte ihn an. »Wenn das genügen würde, Mr. Sutton, könnte ich das leicht selbst übernehmen. Meine Mutter hat immer gesagt, ich könnte mit dem Singen Geld verdienen â man würde mich bezahlen, damit ich aufhöre.«
»Ich dachte, alle jungen Damen könnten singen.« Er sah sie neugierig an.
»Die meisten können es wohl«, antwortete sie, holte einen Laib Brot aus dem Kasten und griff nach dem Messer mit der gezackten Klinge. »Von den wenigen, die es nicht können, besitzen einige auch Verstand genug, es gar nicht erst zu versuchen, andere nicht. Ich bin so klug, also brauche ich Ihre Hilfe bei den Ratten. Möchten Sie etwas zu Mittag essen?«
»Ja, das wäre sehr nett von Ihnen«, nahm er ihre Einladung an, setzte sich an den geschrubbten Holztisch und bedeutete dem Hund, sich ebenfalls niederzulassen.
Hester toastete ein bisschen Brot, indem sie es Scheibe für Scheibe mit der dreizinkigen Gabel vor die offene Ofenklappe hielt, und als es braun war, reichte sie es ihm, damit er es in das Gestell stellte. Dann holte sie Butter und Käse und eine frische Kanne Tee.
Sie saÃen zusammen in der warmen, von Kerzenschein erhellten Küche und wurden über eine halbe Stunde lang von niemandem gestört. Hester mochte Sutton. Er verfügte über einen unermesslichen Vorrat an Abenteuergeschichten und beschrieb die Menschen und ihre Reaktionen auf die Ratten mit trockenem Humor. Es war das erste Mal seit Tagen, dass sie lachte, und sie spürte, dass sich aus Erleichterung darüber, über alltägliche Dinge nachzudenken, die nichts mit dem Leben und dem Tod in der Portpool Lane zu tun hatten, die Anspannung löste.
»Ich komme heute Abend zurück«, versprach Sutton, griff nach dem letzten Stück Toast und trank seinen Tee aus. »Ich habe Fallen und meinen Hund und das Ganze. Wir machen für Sie sauber â umsonst.«
»Umsonst?«, fragte Hester.
Er sah ein wenig befangen aus. »Ja, warum nicht? Sie haben kein Geld übrig. Geben Sie mir, wenn ich in der Gegend bin, ab und zu mal âne Tasse Tee, und wir sind quitt.«
»Vielen Dank, Mr. Sutton«, nahm sie sein Angebot an. »Das ist sehr groÃzügig von Ihnen.«
»Ich bin froh, dass Sie dazu nicht zu stolz sind.« Er sah erleichtert aus. »Ist blöde, wenn man was wirklich Gutes tun kann. Und ich schätze, das tun Sie.« Er stand auf und strich sich die Jacke glatt. Sie war tatsächlich richtig elegant. »Ich sehe Sie heute Abend. Guten Tag, Miss Hester.« Er gab dem Hund einen Wink. »Komm, Snoot.«
»Guten Tag, Mr. Sutton«, antwortete Hester.
Sie und die anderen verteilten Brot, Haferschleim, Kraftbrühe und was immer ihre Patientinnen sonst noch essen konnten. Mercy hatte Toddys Ãpfel geschält und gekocht, das ergab eine sehr willkommene Beigabe.
Gegen drei schien alles ruhig zu sein. Hester beschloss, Ruth Clark noch einen Besuch abzustatten und sie davon zu überzeugen, dass es besser war, mindestens noch zwei Tage in der Klinik zu bleiben, um wieder zu Kräften zu kommen. Es ging ihr immer noch alles andere als gut, und der bittere Wind drauÃen konnte zu einem Rückfall führen, der sogar tödlich enden mochte.
Sie öffnete die Tür und betrat den Raum, wobei sie die Tür gleich wieder hinter sich schloss, weil sie eine Auseinandersetzung befürchtete und nicht wollte, dass sie den anderen zu Ohren kam, besonders Mercy nicht. Womöglich kamen dabei mehr Einzelheiten über Ruths Situation und ihre Beziehung zu Clement Louvain zu Tage, als sie wissen wollte, und sie wollte auch nicht, dass Ruths möglicherweise unfreundliche Bemerkungen von den anderen gehört wurden.
Ruth lag im
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