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Schwarze Themse

Schwarze Themse

Titel: Schwarze Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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lieb sein konnte.
    Â»Der beste Weg«, sagte Hester leise, »damit umzugehen, ist meiner Erfahrung nach der, sich nicht die Einzelheiten des Lebens anderer Menschen auszumalen, besonders in jenen Bereichen, die privat sein sollten, und stattdessen etwas dazu beizutragen, den Schlamassel zu lindern. Ich habe selbst den dummen Fehler begangen.«
    Â»Nun ja, wir sind alle keine Heiligen«, meinte Claudine unbeholfen.
    Bevor Hester einen weiteren Gedanken fassen konnte, stieß die Frau im Bett ein trockenes, leises Husten aus und hörte auf zu atmen. Hester beugte sich über sie und tastete am Hals nach dem Puls. Nichts. Sie faltete ihr die Hände und stand langsam auf.
    Claudine starrte sie mit aschfahlem Gesicht an. »Ist sie …?«
    Â»Ja.«
    Â»Oh …« Plötzlich fing sie ganz gegen ihren Willen an zu zittern, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie drehte sich auf dem Absatz um und stürzte aus dem Zimmer. Hester hörte ihre Schritte den Gang hinunter verklingen.
    Sie strich das Bett ein wenig glatt, dann ging sie hinaus und schloss die Tür. Auf dem Weg zu Ruth Clarks Zimmer hörte sie schon aus einigen Schritten Entfernung die Stimmen. Sie waren nicht laut, aber angespannt und voller Zorn. Die Worte klangen gedämpft und waren kaum zu verstehen. Hester meinte, das Wort »gehen« zu verstehen und eine Drohung zu hören, die so voller Gefühle ausgestoßen wurde, dass die einzelnen
Wörter nicht zu unterscheiden waren. Deutlich waren jedoch der Zorn und ein so intensiver, heftiger Schmerz, dass der Schweiß auf Hesters Haut kribbelte und ihr Herz klopfte, als könnte es zerspringen.
    Sie verspürte den Drang, sich nicht einzumischen, sondern so zu tun, als hätte sie überhaupt nichts gehört, als wäre es ein Versehen, ein flüchtiger Albtraum, aus dem sie eben erwacht war.
    Sie fühlte sich noch nicht dafür gewappnet und kämpfte noch mit sich, da ging die Tür auf, und Mercy kam heraus, eine Schüssel kaltes Wasser in den Händen und ein Stück Stoff über dem Arm. Sie sah wütend und erschrocken aus und blieb abrupt stehen, als sie Hesters ansichtig wurde. »Sie hält sich für was Besseres«, sagte sie heiser. »Sie will hier weg, vielleicht morgen schon. Es geht ihr noch nicht gut genug … Ich … Ich habe versucht, sie zu überreden.« Ihr Gesicht war blass, ihre Augen lagen vor Erschöpfung tief in den Höhlen, und sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
    Â»Man hat mir gesagt, ihre Familie käme sie bald holen«, antwortete Hester in dem Versuch, etwas Tröstliches zu sagen. »Wenn sie kommen, werden sie sich um sie kümmern. Ich vermute, dass sie das meint. Machen Sie sich keine Sorgen. Es geht ihr so schlecht, dass sie nicht gehen kann, wenn sie niemanden hat, der sich um sie kümmert. Das wird sie auch wissen.«
    Â»Familie?«, fragte Mercy verwundert. »Wer?«
    Â»Ich weiß nicht.« Hester wollte schon hinzufügen, dass Clement Louvain von der Familie gesprochen hatte, schwieg jedoch. Vielleicht wusste Mercy sehr wenig über das Privatleben ihres Bruders oder das seines Freundes, falls es ihn überhaupt gab. »Machen Sie sich keine Sorgen um sie«, sagte sie stattdessen. »Wir können sie nicht hier behalten, wenn sie gehen will, aber ich versuche, sie davon zu überzeugen, wie dumm das wäre.« Sie schaute in Mercys abgespanntes Gesicht. »Sie ist eine schwierige Frau. Sie streitet sich ständig mit Flo, hat sie
sogar beschuldigt, eine Diebin zu sein, und sie damit wirklich gekränkt. Flo ist alles Mögliche, aber sie ist keine Diebin, und darauf legt sie auch viel Wert. Es wäre sehr gut, wenn jemand käme, der sich um Ruth kümmert.«
    Mercy stand still da. »Es tut mir Leid«, sagte sie sehr leise.
    Â»Gehen Sie eine Tasse Tee trinken«, sagte Hester. »Und etwas essen. Wann haben Sie sich das letzte Mal hingesetzt?« Sie berührte Mercy am Arm. »Wir können nicht allen helfen, manchen Menschen ist einfach nicht zu helfen. Wir müssen tun, was wir können, und uns dann dem nächsten Menschen zuwenden.«
    Mercy wollte wohl etwas sagen, aber die Worte erstarben ihr auf den Lippen.
    Â»Ich weiß, dass es schwer ist.« Hester lächelte ein wenig, herzlich, aber ohne jede Freude. »Aber es ist die einzige Möglichkeit zu überleben.«
    Falls Mercy

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