Schwarze Themse
Angst befürchtet hatte, dass ihr fast übel wurde. Da war es, eine weitere dunkle Schwellung â in einem medizinischen Handbuch würde man »Bubo« dazu sagen. Ruth Clark hatte keine Lungenentzündung gehabt â sie hatte die Beulenpest, die Krankheit, die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts ein Viertel der bekannten Menschheit umgebracht hatte und als »Schwarzer Tod« bekannt war.
Hester tauchte die Hände in das Waschwasser und zog sie schnell wieder raus. Sie zitterte am ganzen Körper. Sie klapperte sogar mit den Zähnen! Sie musste sich unter Kontrolle bekommen! Sie musste Entscheidungen treffen und tun, was getan werden musste. AuÃer ihr war niemand da, der das Ruder übernehmen konnte, niemand, der ihr sagen konnte, was richtig war.
Wann waren die Schwellungen aufgetreten? Wer hatte sie als Letzte gewaschen oder ihr das Nachthemd gewechselt? Das hatte immer Mercy gemacht. Vielleicht hatte Ruth sich geweigert, sich vor Mercy auszuziehen, oder Mercy hatte nicht erkannt, was die Beulen zu bedeuten hatten.
Und was war mit den anderen Frauen, die Stauungen in der Lunge hatten? Hatten sie Bronchitis oder Lungenentzündung ⦠oder befanden sie sich im ersten Stadium der Lungenpest?
Und würde diese sich, wenn sie nicht daran starben, bei ihnen dann auch zur richtigen Beulenpest entwickeln?
Sie wusste es nicht, aber sie musste wohl davon ausgehen. Also durfte niemand das Haus verlassen! Die Krankheit würde sich ausbreiten wie Flammen im Zunder. Wie viele Menschen hatten die Pest 1348 ins Land gebracht? Einer, ein Dutzend? Innerhalb von Wochen konnte sie sich durch halb London und im ganzen Land verbreiten! Bei den modernen Reisemöglichkeiten, Zügen, die das Land der Länge und der Breite nach durchfuhren, konnte sie am nächsten Tag in Schottland und Wales sein.
Und Margaret durfte nicht zurückkommen! Der Himmel wusste, dass sie Miss Margarets Hilfe, ihren Mut und ihre Kameradschaft vermissen würde! Aber niemand durfte ins Haus kommen oder es verlassen.
Wie sollte sie die Pest aufhalten? Sie würde Hilfe brauchen. Viel Hilfe. Aber wen? Was war, wenn sie es den anderen im Haus sagte und diese in Panik davonliefen? Sie hatte nicht die Macht, sie aufzuhalten. Was, um alles auf der Welt, sollte sie nur machen? Konnte sie überhaupt verhindern, dass sich jemand ansteckte?
Nein. Das war lächerlich. Alle waren mindestens einmal in diesem Zimmer gewesen. Es war durchaus möglich, dass sie sich schon angesteckt hatten, und es war zu spät, alle und alles zu retten. Sie würde zumindest dafür sorgen, dass niemand die Beulen zu sehen bekam und begriff, was sie bedeuteten. So konnte sie zumindest die Panik in Schach halten. Es gab ein Zimmer, dessen Tür man abschlieÃen konnte. Sie musste den Leichnam fest in Tücher wickeln und Bessie bitten, ihr dabei zu helfen, ihn dort hineinzutragen und einzuschlieÃen.
Sie deckte Ruths Leichnam wieder zu, steckte die Decke fest, damit nichts zu sehen war, ging hinaus und schloss hinter sich die Tür. Flo wollte eben die Treppe hinuntergehen, und Hester rief sie.
»Suchen Sie Bessie und schicken Sie sie rauf, ja. Sofort, bitte.«
Flo bemerkte die Anspannung in ihrer Stimme. »Stimmt mit der elenden Kuh schon wieder was nicht?«
»Tun Sie einfach, um was ich Sie gebeten habe!« Hesters Stimme klang hoch und spitz, aber sie konnte nichts dagegen tun. »Jetzt gleich!«
Flo zuckte die Schultern und ging davon, offensichtlich verärgert, dass Hester so mit ihr sprach, aber sie tat, wie ihr aufgetragen worden war, und drei oder vier Minuten später war Bessie zur Stelle.
»Ruth Clark ist tot«, sagte Hester, als Bessie vor ihr stand. »Ich möchte, dass Sie mir helfen, ihren Leichnam in das Zimmer am Ende des Flurs zu bringen, das man abschlieÃen kann, damit Mercy und Claudine nicht in Panik geraten, dass wir so rasch eine zweite Tote haben. Ich ⦠ich will nicht, dass sie weglaufen, also sagen Sie bitte nichts. Es ist mir sehr wichtig!«
Bessie runzelte die Stirn. »Alles in Ordnung mit Ihnen, Miss Hester? Sie sehen schrecklich blass aus.«
»Ja, danke. Helfen Sie mir nur, Ruth in den anderen Raum zu bringen, bevor es jemand mitbekommt.«
Es war ein schwieriges Unterfangen. Ruth war schwer, ihr Körper noch schlaff. Sie konnten nur mit Mühe verhindern, dass sie ihnen aus den Händen glitt und auf dem Boden landete. Bessie war jedoch
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