Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
sie finden und dann … Lukas schüttelte den Gedanken ab. Er wusste nicht, was er dann tun würde.
Der Applaus der Menge war zum Erliegen gekommen, und in der Mütze zu seinen Füßen befanden sich nur dreißig Cent. Lukas seufzte innerlich. Seine überstürzte Abreise hatte seine letzten Ersparnisse aufgebraucht. Er würde sich nicht einmal den Schlafplatz in der Jugendherberge leisten können. Sein Plan, sich mit Kunststücken zu finanzieren, schien auch ins Wasser zu fallen, denn am Himmel, jenseits der hoch über der Stadt thronenden Ruine der Burg Staufen, die eingebettet in die Weinberge des Markgräflerlandes lag, zogen dunkle Regenwolken auf. Lange würde er hier nicht mehr stehen können.
Lukas strich sich das dunkle Haar aus der Stirn, steckte das Kartenspiel weg und zählte insgeheim die Umstehenden durch. Seine kleine Vorführung hatte genügend Zuschauer angelockt. Nach dem Säen wurde es Zeit, die Ernte einzufahren – und das möglichst, bevor ihm die Polizei auf die Schliche kam. Doch konnte er das wagen? Seine Ankunft in Staufen fiel auf einen Freitag, den Dreizehnten. Er war nicht besonders abergläubisch, doch Freitage wie dieser hatten es zeit seines Lebens in sich gehabt. Sein leiblicher Vater war an einem Freitag, dem Dreizehnten, gestorben. An einem Freitag, dem Dreizehnten, war sein Hund von einem Blitz erschlagen worden, seine erste große Liebe hatte an einem solchen Tag mit ihm Schluss gemacht, und sogar sein verhasster Stiefvater war an einem Freitag, dem Dreizehnten, in sein Leben getreten. Und das waren nur die Highlights, die mit diesem Datum verbunden waren. Noch konnte er zu Hause anrufen und um Geld bitten. Es wäre nicht das erste Mal. Nur hatte es seine Mutter selbst schwer genug. Seit Jahren schon rackerte sie sich für ihn ab. Es hatte Zeiten gegeben, da fragte er sich, ob sie eigentlich selbst noch etwas übrig behielt, während sie ihm ständig seine Eskapaden finanzierte. Zum Dank hatte er schon wieder fast acht Monate verstreichen lassen, seit er sie das letzte Mal besucht hatte. Nicht weil er ein schlechter Sohn sein wollte, sondern vielmehr aus Scham. Weil sich in seinem Leben einfach nichts änderte. Und wenn sein verhasster Stiefvater am Apparat wäre, würde der ihn eh nur wieder als Versager beschimpfen. Nein, die Entscheidung war längst gefallen. Er würde sein Glück ein letztes Mal aufs Spiel setzen. Einen anderen Weg gab es nicht.
»Kommen wir zum Höhepunkt der heutigen Darbietung!« Er präsentierte drei schwarze Plastikbecher, kramte eine Erbse aus der Tasche seiner Lederjacke und ging in die Hocke. »Denn ein wahrhafter Zauberer scheut das Duell mit seinem Publikum nicht. Fangen wir mit einem kleinen Warm-up an.« Er legte die Erbse auf den Karton zu seinen Füßen, stülpte eine der Kappen darüber und legte die anderen Becher daneben. Mit fließenden Bewegungen vertauschte er ihre Plätze. »Na, kann mir jemand sagen, unter welchem Becher die Erbse liegt?«
Ein Jugendlicher deutete auf das Hütchen in der Mitte.
»Oh, schade.« Lukas lüpfte es. Es war leer. Dabei hatte er nichts getan. Der Typ war einfach nicht aufmerksam genug gewesen. »Probieren wir es ein weiteres Mal.« Lukas legte die Erbse erneut auf den Karton, stülpte abermals eine der Kappen darüber und vertauschte mehrfach die Plätze der Becher. Ein kleines Mädchen deutete schüchtern auf die Kappe zu seiner Linken. »Nicht schlecht!« Lukas hob den Becher an und präsentierte die Erbse. Das Mädchen freute sich, und er zwinkerte ihr zu. Natürlich plante er nicht, Kinder auszunehmen. Die beiden Typen, die weiter rechts standen und schon eine Weile in breitem sächsischen Dialekt Witze über seine Aufführung rissen, waren ein deutlich besseres Ziel. Dass die beiden den Charme schmieriger Gebrauchtwagenhändler hatten und keinen Hehl daraus machten, dass sie auf jemanden wie ihn herabblickten, forderte Lukas’ Stolz erst recht heraus. Er musste sie nur noch dazu bringen, einzusteigen.
Lukas griff in die Hosentasche, präsentierte eine Euromünze und sah das Mädchen an. Anschließend legte er die Münze gut sichtbar auf den Karton. »Mal sehen, ob du aufmerksam genug bist, wenn ich die Hütchen etwas schneller vertausche. Dann gehört der Euro dir.« Er wiederholte sein Spiel und verschob die Becher diesmal etwas rascher. »Na?« Die Kleine sah kurz zu ihrer Mutter auf und deutete diesmal auf das mittlere Hütchen. Lukas hob die Kappe an, und – welche Überraschung! – abermals
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