Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
eingerahmt wurden, wirkte er fast so zart wie Detective Arnet. Seine Unterlippe war voller als die Oberlippe, was einem weiblichen Schmollmund nahekam. Sein Körperbau machte allerdings unmissverständlich klar, dass er ein Mann war: breite Schultern, schmale Hüften, eine Schwimmerfigur, obwohl das nicht sein Sport war. Vom Hals abwärts war er nicht mit einer Frau zu verwechseln. Nur beim Gesicht und den Haaren.
Er hatte den Hemdkragen offen gelassen, sodass die Kuhle unter dem Kehlkopf zu sehen war. Ich sah mich in seinen dunklen Brillengläsern. Es war ziemlich düster im Eingangsbereich. Warum also die Sonnenbrille? Weil er Katzenaugen hatte, Leopardenaugen, um genau zu sein. Sie waren mal gelb, mal grün. Welche Farbe gerade dominierte, hing von der Farbe seiner Kleidung ab, aber auch von seiner Stimmung und vom Licht. Durch sein Hemd wären sie heute grün mit ein paar gelben Sprenkeln, wie sonnige Lücken im Blätterdach des Waldes.
Er war ein Werleopard, der Nimir-Raj des hiesigen Rudels. Eigentlich sollte er in Menschengestalt keine tierischen Merkmale haben. Doch wenn man zu viel Zeit in der Tiergestalt verbrachte, ging die Rückverwandlung mitunter nicht mehr vollständig vonstatten. Er wollte die Normalbürger nicht erschrecken, darum trug er die Sonnenbrille.
Seine Hand lag warm in meiner, und dieses bisschen Körperkontakt reichte schon, um meine Abschirmung zunichtezumachen. Ich hatte mich abgeschirmt, damit ich ihn während der Zeremonie nicht wie einen zweiten Herzschlag spürte. Denn wir waren Nimir-Raj und Nimir-Ra, König und Königin der Werleoparden. Wenn’s nach mir ging, waren wir eher Königin und Prinzgemahl, zumindest aber echte Partner. Auf jeden Fall behielt ich mir das Präsidentenveto vor. Ich bin nun mal ein Kontrollfreak.
Ich war die erste menschliche Nimir-Ra in der langen Geschichte der Werleoparden. Das »menschlich« würden allerdings einige Leute bestreiten, da ich von Berufs wegen Tote erwecke und von Staats wegen Vampire hinrichte. Aber es gibt immer ein paar Neider.
Ich setzte zu einer Umarmung an, doch Micah schüttelte kurz den Kopf. Er hatte recht. Ja, er hatte recht. Wenn mein Puls schon beim Handgeben beschleunigte, wäre eine Umarmung schlecht. Durch eine Reihe metaphysischer Zufälle lebte etwas in mir, das mit Micahs Tier ziemliche Ähnlichkeit hatte. Mein und Micahs Tier waren miteinander vertraut wie ein altes Liebespaar. Der nichtmenschliche Teil unserer jeweiligen Person kannte uns besser als der menschliche Teil. Ich wusste noch immer so gut wie nichts über Micah, ehrlich. Obwohl wir zusammenlebten. Metaphysisch waren wir enger aneinandergebunden, als eine Zeremonie oder eine Urkunde es bewirken könnte; aber im wirklichen Alltagsleben fragte ich mich, was ich mit ihm tun sollte. Er war der perfekte Partner, meine zweite Hälfte, das fehlende Teilstück. Er ergänzte mich in fast jeder Hinsicht. Und wenn er so nah bei mir stand, kam mir alles vollkommen richtig vor. Doch es brauchte nur ein wenig Distanz und ich begann mich zu fragen, wann die Illusion platzte und er mir nicht mehr wundervoll erschien. Ich hatte noch keinen Mann in meinem Leben gehabt, der es nicht irgendwann versaute. Warum sollte Micah anders sein?
Er küsste mich nicht, sondern blies mir seinen Atem über die Wange und hauchte: »Später.« Doch auch das brachte mich schon so heftig zum Schaudern, dass ich schwankte.
Er bedachte mich mit einem Lächeln, diesem vielsagenden Lächeln eines Mannes, der genau weiß, wie seine Berührung auf die Frau wirkt. Das gefiel mir nicht. Mir kam der Verdacht, dass er die Beziehung mit mir selbstverständlich nahm. Sowie ich das dachte, wusste ich, dass es nicht wahr war. Es war sogar ungerecht. Warum war mir der Gedanke dann überhaupt gekommen? Weil ich es immer wieder meisterhaft hinkriege, mein Liebesleben zu ruinieren. Wenn etwas zu gut klappt, stochere ich daran herum, bis es zerbricht oder mich beißt. Ich gab mir Mühe, das sein zu lassen, aber alte Gewohnheiten, besonders die schlechten, sind schwer abzulegen.
Micah rückte weiter in der Reihe, und Detective Arnet schoss mir aus ihren stark geschminkten, aber schönen Augen einen fragenden Blick zu. Sie setzte zum Sprechen an, wurde jedoch abgelenkt von der Person, die ihr als Nächstes gegenüber stand. Nathaniel war eine gute Ablenkung, ohne Zweifel.
Jessica Arnet war ein Stück größer als er mit seinen einsachtundsechzig. Darum musste sie hinabschauen, um seinem Lavendelblick zu
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