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Schwarzer, Alice

Schwarzer, Alice

Titel: Schwarzer, Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die grosse Verschleierung
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oder westliche »Hetzpropaganda«
handle. Der »wahre Islam« habe weder etwas mit Terrorismus noch mit Gewalt zu
tun. Islam sei Friede. Der wahre Islam könne auch nicht für die Unterdrückung
der Frauen verantwortlich gemacht werden. Frauen seien absolut gleichberechtigt.
    Vor allem die Musliminnen selbst, und hier speziell die
Konvertitinnen, lächelten immer nur mitleidig, wenn ich Zweifel äußerte oder
die schlechte Stellung der muslimischen Frauen ansprach. Das sei entweder gar
nicht wahr, oder es handele sich um patriarchale Traditionen, mit Islam habe
das nichts zu tun. Überdies wirkten all diese Frauen auf mich tatsächlich sehr
selbstbewusst und eigenständig; fast alle hatten studiert. Und mehr noch: Man
zeigte mir deutlich, wie sehr man mich für meine Entscheidung, als deutsche
Frau den Islam anzunehmen, bewunderte.
    Das schmeichelte mir ungemein. Es war Balsam für meine
gekränkte Seele. Außerdem wurde man nicht müde, mir zu erklären, dass der
Islam und die Muslime nicht nur in den Medien das Feindbild schlechthin seien.
Fast alle Muslime, die ich kennenlernte, stellten sich stets als Opfer dar:
Die meisten Menschen im Westen würden Muslime ablehnen oder sogar hassen. Das
traf einen wunden Punkt bei mir und schuf Gemeinsamkeit: Fühlte ich mich denn
nicht auch abgelehnt bzw. als Opfer? Und überhaupt sei doch die westliche
Gesellschaft völlig verkommen, unmoralisch und verlogen. Hier sei jeder nur auf
seinen eigenen Vorteil aus, es herrsche Egoismus, Gottlosigkeit, Materialismus
und rücksichtsloser Individualismus. Mehr und mehr verinnerlichte ich diese
Ansichten. Ich gelangte zu der Überzeugung, dass der Islam die Lösung für alles
sei. Bei meiner Konversion spielte, im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, zu
keinem Zeitpunkt ein muslimischer Mann eine Rolle. Niemand hat mich überredet
oder unter Druck gesetzt. Ich war sozusagen von Beginn an Überzeugungstäterin.
    Ich praktizierte dann mit der Zeit auch selbst die meisten
muslimischen Rituale, verzichtete auf Alkohol und Schweinefleisch, gab mich in
Sachen Kleidung von nun an »bedeckt« und entschloss mich sogar, das Kopftuch zu
tragen. Als ich damit auch nach außen meine Überzeugung sichtbar machte, schlug
mir tatsächlich oft genug Ablehnung entgegen. Speziell meine Familie reagierte
völlig entsetzt. Fassungslos fragten sie mich: »Wie kannst du nur?« Eine Tante
verweigerte plötzlich jedes Treffen mit mir: Solange ich dieses Kopftuch trüge,
wolle sie mich nicht mehr sehen. Und zwei weitere Familienmitglieder brachen
den Kontakt zu mir ab. Bei fast jedem Familientreffen gab es Streit. Oder es
herrschte beklommenes Schweigen.
    Dass meine Verwandten vor allem besorgt um mich waren, das
wollte ich nicht wahrhaben. Stattdessen wurde ich wütend, beschuldigte sie,
warf ihnen Intoleranz und Dummheit vor. Ich blaffte sie an, dass sie sich nicht
einmal die Mühe machen würden, mich bzw. den Islam zu verstehen. Oder ich
versuchte, ihnen meine Beweggründe ruhig und sachlich zu erläutern. Ohne
Erfolg. Sie blieben bei ihrer Meinung.
    Die Muslime hatten also recht gehabt: Diese Gesellschaft
lehnte den Islam tatsächlich völlig ungerechtfertigt ab oder begegnete ihm
sogar mit Hass. Das wiederum verstärkte mein eigenes Misstrauen allen
Nichtmuslimen gegenüber, was mitunter regelrecht feindselige Züge annahm. Damit
wuchs in mir ein Gefühl moralischer Überlegenheit, sowohl der Gesellschaft als
auch meiner Familie gegenüber. Ich wähnte mich als Märtyrerin: Man grenzte mich
aus.
    Aber auch ich grenzte mich deutlich von den anderen ab.
Bald hatte ich fast nur noch Kontakte zu Muslimen. Die Gesellschaft und ich,
wir passten nicht länger zusammen. Manchmal steigerte sich mein
Überlegenheitsgefühl in regelrechte Verachtung: Warum konnten die Deutschen
nicht erkennen, in was für einer verkommenen Welt sie lebten? Wieso begriffen
sie nicht, dass der Islam die Lösung all ihrer Probleme wäre? Wieso
diskriminierten sie Frauen mit Kopftuch?
    Westliche Frauen hatten meiner Meinung nach eher allen
Grund, sich zu schämen. Wie konnte man sich als erwachsene Frau nur kleiden und
benehmen wie eine Hure? Unverschleierte Frauen nahm ich nun als arme Opfer
sexistischer Gesellschaftsverhältnisse wahr. Sie taten mir leid, weil sie sich
Männern »anboten« und unterwarfen und darauf teilweise allen Ernstes auch noch
stolz waren. Ich kam mir sehr klug und überlegen vor.
    Einen qualifizierten Arbeitsplatz würde ich jedenfalls
wohl kaum finden, jetzt

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