Schwarzer, Alice
überzeugt: Nur ein gewaltbereiter Mann ist
ein »echter Mann«! Gewalt ist der Kern der Männerherrschaft in den Gettos.
Gewalt ist cool. Gewalt ist das identitätsstiftende Element von »Männlichkeit«
- am begierigsten aufgesogen in Zeiten irritierter, erschütterter Männlichkeit.
Das verführerische Lied der Gewalt wird von Paris bis Köln
und Berlin vielstimmig gesungen: von traditionellen Patriarchen aus Kulturen,
die weder durch die Aufklärung noch durch den Feminismus erschüttert,
geschweige denn verändert wurden; von Kriminellen, die die Hoffnungslosigkeit
dieser Jungs ausnutzen; und von den mitten in den europäischen Metropolen agitierenden
Islamisten. Sie versprechen diesen verlorenen jungen Männern eine neue, stolze
Identität inklusive 70 Jungfrauen im Himmel - um den Preis der Erhebung über
die eigenen Frauen und Bekämpfung der »Ungläubigen«.
Es sah in den letzten Jahren eigentlich so aus, als hätte
Frankreich dieses Problem erkannt. Nicolas Sarkozy, selber Einwandererkind
(und Sohn eines adeligen Ungarn und einer jüdischen Griechin), fuhr schon als
Innenminister einen offensiven Integrations-Kurs. Ziel: die heimliche Macht
der Islamisten zu brechen und die Muslime aus den Parallelgesellschaften zu
holen.
Ganz so dramatisch wie in Frankreich sind die Probleme in
Deutschland nicht. Aber auch hierzulande steigt die Sympathie vor allem der
jungen Männer mit den Fundamentalisten und Gotteskriegern unaufhaltsam. Auch
wir dürfen unsere Augen nicht länger verschließen vor dem doppelten
Zwei-Klassen-System: dem zwischen Deutschen und Zugezogenen einerseits - und
dem zwischen den Männern und Frauen innerhalb der Einwanderer-Gemeinschaft
andererseits.
Wollen wir das Problem der brennenden Autos wirklich in
den Griff bekommen, müssen wir auch das der brennenden Mädchen angehen
(Stichwort: Ehrenmorde); wollen wir das Gesetz der Paten innerhalb der mafiosen
Strukturen brechen, müssen wir auch die grenzenlose Autorität der Patriarchen
innerhalb der Familien infrage stellen (Stichwort: andere Sitten). Und
mindestens ebenso dringend wie der Sprachunterricht ist der
Demokratieunterricht - unter deutlichem Hinweis auf Paragraf 3, Absatz 2 des
Grundgesetzes: »Frauen und Männer sind gleichberechtigt.«
■ Frankfurter Allgemeine Zeitung 16/11/2005 und EMMA 1/2006
ALICE SCHWARZER / DER AUFSTAND DER
JUNGEN MUSLIMINNEN
Lange war es das bestgehütete Geheimnis der französischen
Vorstädte - bis die erste Tote dalag: die 17-jährige Sohane Benziane. Sie wurde
mit Benzin übergossen und bei lebendigem Leib verbrannt, mitten in ihrem Wohnviertel,
in Balzac in Vitry-sur-Seine. Grund: Ihr Freund hatte der Freundin eines anderen
Jungen eine Ohrfeige versetzt - und der wiederum rächte sich, indem er die
Freundin des Täters mit Benzin übergoss und anzündete. Bitterer Kommentar von
Sohanes Schwester Kahina, einer Soziologie-Studentin: »Zuerst haben sie die
Mülleimer angezündet. Dann die Autos. Jetzt die Mädchen.«
Sie, das sind die jungen Männer in den überwiegend von
Nordafrikanern bewohnten verelendeten französischen Vorstädten. Sie lassen ihre
Aggressionen nicht an den für die Misere Verantwortlichen aus, sondern an den
noch Schwächeren: an den eigenen Schwestern, Freundinnen und Frauen.
Seit Beginn der 1980er-Jahre haben die überwiegend muslimischen
Nordafrikaner im Land ihres Ex-Kolonialherren eine Parallelgesellschaft
aufgebaut. In dieser Gesellschaft gelten nicht die französischen Menschenrechte
für alle, sondern das islamistische Zwei-Klassen-Recht für Männer und Frauen.
Mitten in Frankreich leben die Frauen wie im von den Mullahs regierten Iran
oder in dem von Gotteskriegern terrorisierten Algerien: entrechtet,
bevormundet und gespalten in »Anständige und Schlampen«. Die Mädchen unter dem
Kopftuch zeigen Flagge: Sie sind keine Flittchen, sondern Mädchen zum Heiraten.
Wer sich jedoch den Macho-Gesetzen entzieht, zahlt einen hohen Preis.
So wie Samira Bellil, die als Erste das Gesetz des
Schweigens brach. Im vergangenen Herbst erschien in Paris ihr Buch über das,
was sie in der »Hölle der Bandenvergewaltigungen« (»Dans l'enfer des tournantes«)
erlebte. Bei diesem »Spiel« reichen die in Banden Organisierten die Mädchen von
einem zum anderen weiter (»tournante«), gebrochen werden ihre Opfer mit
extremer Erniedrigung und Gewalt.
Nachdem Samira mit 14 mit dem Bandenchef Jai'd geschlafen
hatte, wurde sie zum Freiwild. Sie ist nun die Schlampe, mit der man
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