Schwarzer, Alice
der
islamistischen Propaganda, die den laut Koran angeblich höherwertigen Männern
süß in den Ohren tönt. Propagandazentrale ist der 1979 ausgerufene iranische
Gottesstaat, finanziert wird die ideologische Offensive von Saudi-Arabien.
Das hat inzwischen auch der französische Staat begriffen –und
hält gegen.
Als die Sozialisten noch an der Regierung waren, lautete
das offizielle Motto »Toleranz«, auch mit dem Schleier in der Schule.
Gleichzeitig führten sie 1994 eine »Dialog-Beauftragte« ein, Hanifa Cherifi,
die zwischen muselmanischen Schülerinnen und Lehrerinnen vermitteln sollte. Sie
hat das mit Erfolg getan. Gab es vor acht Jahren noch rund 3.000
Schleier-Konflikte an französischen Schulen, so waren es im letzten Jahr nur
noch rund 150. Auf jeden Fall, stellt Cherifi klar, bewegt der
Schleier-Konflikt nicht die Mehrheit der Millionen Musliminnen, sondern eine
Minderheit: Nur eine von 10.000 französischen Schülerinnen ist heute
verschleiert.
Inzwischen fordern sogar die oppositionellen Sozialisten
in Frankreich ein Anti-Schleier-Gesetz. Ex-Kulturminister Jack Lang zum
Beispiel brachte einen Gesetzesvorschlag ein, der »jedes Zeichen religiöser
Zugehörigkeit im Rahmen der Schule verbietet«. Bei den Konservativen rennt er
damit offene Türen ein, sie haben die Agitation der Islamisten in Frankreich
wie in Algerien immer schon kritisch gesehen. Und auch die Lehrerinnen-Gewerkschaften
werden immer nervöser. »Je länger es geht, umso weniger werden wir das Problem
mit dem Dialog lösen«, erklärte der Generalsekretär der SNPDEN. »Sie erwarten
vom Staat, dass er das Prinzip der Weltlichkeit in den französischen Schulen
verteidigt. Mit aller Entschiedenheit!«
Der konservative und populäre Innenminister Nicolas Sarkozy
sieht es genauso. Er will die Muslime in Frankreich aus ihren »Kellern und
Garagen« holen, um sie dem »radikalisierenden Einfluss obskurer Imame zu
entwinden« (Die Zeit). Sarkozy
förderte die Gründung eines »Conseil frangais du culte musulman«, an dem sich
rund tausend muslimische Kultstätten beteiligen.
An der Spitze dieses »französischen«, also
integrationswilligen Muslimrates steht Dahl Boubakeur, Vorsitzender der als
liberal bekannten Großen Moschee in Paris. »Ich bin kein Religionspolitiker,
sondern ein Arzt, der es gewohnt ist, bei pathologischen Fällen Hilfe zu
leisten«, sagte Boubakeur. Er wird diese Erfahrung gebrauchen können, denn für
Frankreich mit seinen etwa sechs Millionen Musliminnen ist die
fundamentalistische Radikalisierung doppelt so brisant wie für Deutschland
(etwa drei Millionen Musliminnen).
Um die Gründe für die Radikalisierung redet Boubakeur
nicht herum: »Der europäische Islam geht diesen Weg, weil er das Geld der
Wahabiten bekommt, die Erdöl-Dollars aus Saudi-Arabien«, klagt der liberale Imam.
»Wir haben hier keine Ölquellen.« Aber er hat eine Regierung, die begriffen
hat, worauf es ankommt: auf die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der
nicht gläubigen, nicht fundamentalistischen Musliminnen, die selbstverständlich
für eine Trennung von Staat und Kirche und gegen die Gottesstaatlerei sind.
Neueste Erhebungen zeigen: Nur zehn bis 20 Prozent der französischen Muslime
sind überhaupt religiös aktiv und nur ein geringer Teil dieser Gläubigen
wiederum sind Fundamentalisten.
In Deutschland werden die Zahlen ähnlich sein. Dennoch hat
der deutsche Rechtsstaat dem Alleinvertretungsanspruch des »Zentralrats der
Muslime« (merke: eben nicht »deutscher« Zentralrat), der in den Händen
muslimischer Fundamentalisten ist, bisher nichts entgegengesetzt. Im Gegenteil:
Seine rührigen Vertreter, allesamt Sympathisanten der Gottesstaaten,
repräsentieren allerorten »die Muslime«, auf Kirchentagen wie in der Politik.
Doch wohin Gottesstaaten und Gettos führen, das zeigt
nicht nur der 11. September, das zeigt auch das Leid von Samira und Sohane. Die
revoltierenden Musliminnen in Frankreich nehmen den Kampf gegen ihre doppelte
Diskriminierung jetzt selbst in die Hand: Aktivistin Fadela Amara, die
Vorsitzende der Kumpelhäuser, will nun auch die vergessenen Kumpelinnen raus
aus den Wohnungen und rein in die Kumpelhäuser holen. Ein Fortschritt.
■ EMMA
4/2003
ALICE SCHWARZER / LA FRANCE UND SEINE
MARIANNEN
Es ist nicht lange her, da mussten sie sich in ihren
Vierteln noch als »Nutten« beschimpfen lassen - jetzt zieren ihre Konterfeis in
Überlebensgröße die Säulen der Nationalversammlung, und ihre
Weitere Kostenlose Bücher