Schwarzer, Alice
zwar mit Auspeitschen bestraft, aber was sollten zum
Beispiel die 60.000 Kriegerwitwen tun, die nicht mehr arbeiten durften, die
keinen männlichen Begleiter hatten, aber zu Hause kleine Kinder, die vor Hunger
schrien. Betteln, Prostitution - das wird mit dem Tode bestraft - oder still
sterben. Lachen - verboten. Musik - verboten. Fernsehen - nicht existent.
Geräusche mit den Schuhen zu machen - verboten. Die Sittenpolizei war
allgegenwärtig, gnadenlos gab es Schläge. Schläge für das Verrutschen der
Burka, Schläge, wenn eine Frau ihre Hände zeigte. Abgehackt wurden sie, wenn
die Nägel lackiert waren. Öffentliche Hinrichtungen vor allem von Frauen waren
als Volksbelustigung sehr beliebt. Steinigungen. Erschießungen. Alles ein
»freudiges Ereignis der Freizeitgestaltung«, wie es die Taliban formulierten.
Sicher, dass all das nicht wiederkommt, darf niemand sein. Sie nennen es
Scharia.
Allen, die hierzulande ein Ende der Bombardements forderten,
aber keinen Vorschlag hatten, was stattdessen geschehen sollte - wobei zu
befürchten ist, dass sie an einen »Dialog« mit Monstern denken sollte der
bedrückende Film von Saira Shah (Im Reich der Finsternis) zum täglichen
Pflichtprogramm gemacht werden - damit sie sehen, mit wem sie da einen Dialog
führen wollen. Es ist skandalös, dass dieser Film, der wie noch kein anderer
zuvor das wahre Gesicht von Taliban-Afghanistan gezeigt hat, in Deutschland
erst mit großer Verspätung und nur zu später Stunde gesendet wurde, als wollte
man weiterhin verschleiern, was dort passierte.
Afghanistans Frauen werden immer noch mit systematischer
Perfidie physisch und psychisch umgebracht. In der Moschee predigt der Mullah:
»Der Koran sagt, es ist sittenwidrig, wenn die Frau das Haus verlässt, um mit
den Männern zu arbeiten. Denn die Frauen sind das Schmuckstück des Hauses.« Die
Männer, es sind nur Männer in der Moschee, nicken zustimmend. Und es nickt die
Welt zu dieser überall in der islamischen Welt immer populärer werdenden
männlichen Koranauslegung. Denn im Westen wiegt Toleranz schwerer als der
Verstand: Drum lasst uns das »Brauchtum« ehren.
Dass unter solchen Bedingungen Afghanistan zum Terroristennest
Nummer eins in der Welt wurde, ist wenig verwunderlich. Erst die Mudschaheddin,
dann die Taliban und seit fast 20 Jahren Osama bin Laden: von den Amerikanern
finanziert und gepäppelt und von Pakistan für die eigenen Zwecke missbraucht:
weil man dort, wegen der Auseinandersetzungen mit dem feindlichen Nachbarn
Indien, einen freundlich gesinnten Vasallenstaat haben wollte, ein
pakistanisches Anhängsel sozusagen, geeint im islamischen
Zusammengehörigkeitsgefühl und in fundamentalistischer Frömmigkeit. Dass
Pakistan - wo ebenfalls in manchen Landesteilen die Scharia herrscht - darüber
selbst fast vollständig in die Hand seiner eigenen, allgegenwärtigen Taliban
geraten ist, mag die Außenwelt immer noch nicht so recht zur Kenntnis nehmen.
Aber die fundamentalistischen Mullahs und die bewaffneten Milizen, die in den
afghanischen Camps für den Kampf nicht nur in Kaschmir, sondern in aller Welt
ausgebildet werden, sie terrorisieren auch Pakistan. Kaum auszudenken, wenn
nun auch noch dieses Land mit seinen 140 Millionen Menschen kippt. »Als
Nächstes ist dann Indien dran«, brüsten sich die Gotteskrieger.
Natürlich hat das alles mit dem Islam zu tun, eben mit
jener spezifischen Auslegung des Korans, mit der die radikalen Eiferer der
aufgeklärten Welt den Kampf angesagt haben. Das sind nicht die normalen
Afghanis, sondern diejenigen, die sich Afghanistan Untertan gemacht haben. Doch noch immer scheint man in
Europa nicht begriffen zu haben, was da auf uns zukommt. Wie könnte man sonst
zynisch behaupten, die Opfer von New York seien selbst an ihrem Schicksal
schuld? Die Zeit der Entschuldigungen und Beschönigungen muss ein Ende haben.
Denn jetzt gibt es nur noch eine Frage: Was wäre die Alternative gewesen? Es
waren die Bombardements, die die Taliban gestürzt haben.
»Die Arbeit für Frauenrechte, für Menschenrechte ist unsere
Antwort auf den 11. September«, sagt Shoukria Haidar. Die ehemalige
Tischtennismeisterin von Afghanistan lebt in Frankreich und ist Vorsitzende
der Organisation »Negar«, einer Gruppe afghanischer Exilafghaninnen, die heimlich
Schulen in Kabul betrieben hat. Nun ist sie unermüdlich überall im Westen unterwegs,
um darauf zu drängen, dass die Rechte der Frauen nicht auch im neuen
Afghanistan wieder untergehen. Seit der
Weitere Kostenlose Bücher