Schwarzer, Alice
operieren müssen. Das
»Revolutionär« in RAWAs Namen, das hineinrutschte, als eine Gruppe von
ultralinken »Mittelklässlerinnen« vor fast 25 Jahren die Organisation
gründeten, hat RAWA häufig geschadet, vor allem wenn es um Spenden ging. Doch
die maoistische Schwärmerei jener Tage ist längst einer pragmatischen Bewertung
der Realität gewichen. »Demokratie und Gleichberechtigung sind die Voraussetzungen
für ein neues Afghanistan«, erklärte Tahmina Faryal jüngst dem Sub-Komitee für
Menschenrechte des amerikanischen Repräsentantenhauses.
Die Nachfrage nach RAWA-Informationen ist plötzlich enorm.
RAWA-Frauen treten neuerdings bei Larry King auf und bei der wichtigsten
Talkerin der USA, Oprah Winfrey, sie füllen die Titelstorys ganzer
Zeitschriftenberge und die Programme weltweiter Fernsehsender. Sie selbst haben
erkannt, dass das Internet ihre wirksamste Waffe ist, und verfügen über eine
hoch professionell glänzend gemachte und aufwendige Website, die eine Fülle von
Informationen bietet, inklusive fürchterlicher Bilder, die die Grausamkeiten
der Taliban belegen.
RAWA-Frauen waren es auch, die heimlich jene Aufnahmen
filmten, die der Welt den Atem nahmen: Wie nämlich Zamina 1999 in das
berüchtigte Fußballstadion von Kabul gebracht wurde, wie die unter ihrer Burka
stolpernde Frau zur Elfmeterlinie von anderen Burka-Frauen, wohl Polizistinnen,
gestoßen wurde, wie sie niederknien musste und offensichtlich immer noch nicht
verstand, was da mit ihr geschah, wie ein Mann ihr in den Kopf schoss, ein-,
zwei-, dreimal, und dann, offenbar unzufrieden, den Körper der auf dem Boden
Liegenden mit Kugeln durchsiebte. Allah ist groß, jubelte derweil die
herbeigeströmte Volksmenge, und Zaminas Kinder, die zusehen mussten, weinten.
Es waren sieben. Es hieß, Zamina habe ihren Mann im Schlaf erschlagen. Warum
sie das tat, danach hat niemand gefragt.
Die Männer, die nun über Afghanistan verhandeln, sind wie
immer zerstritten und nur in einem Punkt einig: Sie wollen Macht und Geld,
jeder für sich. Frauen, die etwas ganz anderes wollen, nämlich Frieden und
Gerechtigkeit, haben in diesem jahrhundertealten Spiel keine Chance. Es sei
denn, es hilft ihnen jemand. Aber dieser Jemand ist nicht in Sicht.
Zwar hat sogar Laura Bush die wöchentliche Radiosendung
des amerikanischen Präsidenten okkupiert, um ein Plädoyer für die Frauen
Afghanistans abzugeben. Oder war das nicht doch politisches Kalkül und eher an
die amerikanischen Wähler gerichtet? Es ist deshalb an der Zeit, dass eine so
zentrale Frauenorganisation wie RAWA öffentlicher wird, ihre Finanzstrukturen
darlegt, Anlaufstellen hat, die über eine E-Mail-Adresse oder ein Postfach
hinausgehen. RAWA ist hochgefährdet, das ist wahr, und die islamistischen
Terroristen sind überall, auch das wissen wir inzwischen. Aber nun, wo es darum
geht, die wohl einmalige Chance zur Gleichberechtigung der afghanischen Frauen
in die Tat umzusetzen, ist es nötig, alle Frauenkräfte zu bündeln und gemeinsam
zu handeln - auch wenn die Hoffnungen gering sind.
Es sieht schlecht aus für ein neues Afghanistan. Denn:
ohne Frauen keine Demokratie. So einfach ist das. Und so schlimm. Die
Alternative nämlich ist ein rückwärtsgerichteter, fanatischer Männer-Islam. Der
aber ist entschlossen, alles das, was uns in unserer Welt wichtig ist, zu
zerstören. ■ EMMA
1/2002
ANONYMA / IRAK - DER KRIEG GEGEN DIE
FRAUEN
Als die Entführer kamen, um Zeena al Qushtaini zu holen,
war sie, wie eine Freundin es ausdrückte, »nach neuester Mode gekleidet«. Sie
trug eine teure Armbanduhr, ihre Hände waren manikürt, und sie hatte sich
Strähnen ins Haar machen lassen, um ihre blauen Augen zu betonen. Viele ihrer
Freundinnen sind Frauenrechtlerinnen, doch nur wenige so auffallend modisch wie
Qushtaini. Sie war geschieden, eine alleinerziehende Mutter Ende dreißig, die
ihre beiden Kinder mit einem Vollzeit-Bürojob durchbrachte. Außerdem betrieb
sie eine Apotheke mit ihrem Geschäftspartner Dr. Ziad Baho.
Es war Abend, und Qushtaini und Baho standen hinter der
Theke, als sechs Männer in Straßenanzügen in die Apotheke stürmten und mit
automatischen Waffen vor ihrer Nase fuchtelten. Die Männer klebten Qushtaini
und Baho den Mund mit Klebeband zu, verfrachteten sie in zwei Geländewagen und
fuhren mit ihnen davon.
Verwandte der beiden warteten vergeblich auf eine Lösegeldforderung
für die Entführten. Ihre Leichen wurden zehn Tage später gefunden, neben
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