Schwarzer, Alice
Millionen
afghanischer Frauen träumen. Aber nicht in Peschawar, nicht sonst wo in
Pakistan oder irgendwo in der Welt, sondern zu Hause, in Afghanistan. Doch
besteht irgendeine Chance, dass dieser Traum wahr wird?
So, wie es jetzt aussieht, wohl eher nicht. Denn
wahrscheinlich wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern in diesem Land, in
dem Frauen gezwungen werden, sich unsichtbar zu machen zu einem Nichts. Deshalb
kann es in Wahrheit leider nur einen Rat an alle Frauen Afghanistans geben:
Seht zu, dass ihr da rauskommt, und zwar so schnell wie möglich! Leider ist es
ein schlechter Rat, denn er ist nicht praktikabel. Wie sollen die Frauen
flüchten und vor allem wohin? Wo doch niemand sie haben will draußen.
Alle reden sie nun von einem neuen Afghanistan, und sie
schmieden Pläne für neue Regierungen auf einer noch nie da gewesenen breiten
Basis unter Berücksichtigung »aller gesellschaftlichen Kräfte«, wie sie es
nennen. Auch die Herren, die sich gleich hinter Razias Armenschule im schmucken
Villenviertel versammelt haben, wo der reiche Herr Gailani, der Verwandte des
Königs wohnt. Über den Frieden und die Zukunft Afghanistans wollten sie
beraten: Mächtige Clanführer der großen paschtunischen Familien waren es, in
prächtigen Roben und imposanten Turbanen, und die Stammesältesten mit ihren
wohlgepflegten wallenden Barten. 1.500 malerische Männer. Ihr Foto ging um die
ganze Welt. Aber niemandem fiel offenbar auf, dass keine einzige Frau zu sehen
war.
Diese Männer hatten wieder einmal von vornherein beschlossen,
dass Frauen bei den Verhandlungen auch über ihre Zukunft nichts zu suchen
hätten. Und die Welt hat sich offenbar daran gewöhnt, dass afghanische Frauen
unsichtbar und stimmlos sind. Aber das geht nicht nur auf das Konto der
Fundamentalisten, der Taliban und der Mujaheddin vor ihnen, dieser sogenannten
Heiligen Krieger, die auch nichts anderes waren als eine Bande machtgieriger
Krimineller.
Nach dem Abzug der Sowjets hatten die Mudschaheddin das
noch relativ intakte Land in eine Räuberhöhle verwandelt, in der nach Lust
geraubt und gemordet wurde und wo Frauen dazu da waren, vergewaltigt und
entführt zu werden. Ob sie sich nun respektabel »Nordallianz« nennen oder sonst
wie, es sind eben diese Leute, die nun ihren Anteil am Nach-Taliban-Afghanistan
anpeilen. Frauen sollen dann weiter ein Nichts bleiben, denn Frauen sind nur
zur Befriedigung der eigenen Lust, zum Gebären von Kindern und zur Arbeit im
Hause oder auf den Feldern der Dörfer da.
Dass diese absolute Missachtung der Frauen überhaupt möglich
ist, geht auch auf das Konto der westlichen Toleranzlinge in den Hilfsorganisationen.
Diese überlebensnotwendigen Hilfsorganisationen verstecken sich seit Jahren
hinter »Brauchtum« und »Tradition«, weil sie sich nicht trauen, den Islamisten
die Stirn zu bieten, wenn es um die Frauen geht. Die Herren Fundamentalisten
wünschen keine Schulen für Mädchen? Also weg damit; auch aus den Lagern, die
mit westlichen Spenden finanziert werden. Die Herren Radikalen finden, Frauen
brauchen keine medizinische Versorgung? Also lassen wir die Krankenhäuser
schließen und die Ärztinnen verjagen und sorgen nur für das Allernötigste in
schmutzigen Verschlagen. Die Herren wünschen nicht, dass Frauenprojekte aus
»Dingen« eigenständige Lebewesen machen? Bitte sehr, dann streichen wir sie
eben.
Die afghanische Ärztin Sima Samar, deren Organisation »Schuhada«
afghanischen Frauen in pakistanischen Flüchtlingslagern und in Afghanistan
selbst hilft, sagte jetzt bei einem Treffen mit Europa-Parlamentarierinnen, wie
es ist: »Aus angeblichem Respekt vor der Kultur Afghanistans wird der
Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Leben toleriert. Doch die Kultur
wird hier nur als Ausrede für die Diskriminierung von Frauen vorgeschoben - und
leider vom Westen akzeptiert.«
Lakhdar Brahimi, ehemaliger algerischer Außenminister und
Sonderbeauftragter Kofi Annans für Afghanistan, beteuert zwar, dass den Frauen
natürlich eine wichtige und auch politische Rolle im Nach-Taliban-Afghanistan
eingeräumt werden müsse. Es gibt viele Rezepte, die jetzt für eine neue
Regierung herumgereicht werden.
»Unsere größte Hoffnung ist jetzt der König«, sagt eine
Exil-Afghanin, die einmal alle Hoffnungen auf den Kommunismus gesetzt hatte.
Aber der König ist alt und schwach, und - das ist eben typisch für die
Verhältnisse in Afghanistan - es ist auf lange Sicht eher wahrscheinlich, dass
nicht er, der
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