Schwarzer, Alice
einer
Autobahn etwas südlich von Bagdad. Baho war enthauptet worden. Qushtaini war
in ein langes schwarzes Gewand gehüllt und ein Tuch bedeckte ihr Haar - ein
Kleidungsstück, das sie in ihrem ganzen Leben nicht getragen hatte. Das
Kopftuch war blutgetränkt von der einen Kugel, die sie seitlich in den Kopf
getroffen hatte.
Die Doppelbotschaft - die von Zeenas Leben und ihrem Tod -
war unmissverständlich. Viele Frauen im Irak sehnen die Freiheit herbei, die
das irakische Experiment Demokratie ihnen verhieß. Doch so mancher Hardliner
ist bereit, sie dafür umzubringen. Der Mord an Zeena ist nur einer von vielen
der Fanatiker an Irakerinnen, die in den letzten Monaten bekannt wurden.
Zwanzig Frauen wurden allein in Mosul ermordet und ein weiteres Dutzend in
Bagdad. Ende Februar wurde die Leiche einer Fernsehmoderatorin mit einer Kugel
im Kopf gefunden: Raiedah Mohammed Wageh Wazan war am 20. Februar zusammen mit
ihrer Tochter von bewaffneten Männern in Mosul entführt worden. Das Mädchen
kam frei, die Leiche der Mutter lag wenige Tage später am Straßenrand. Der Ehemann
beschloss, auf eine Beerdigungsprozession zu verzichten, Aufständische hatten
ihn gewarnt.
Nach den Wahlen im Januar hätten auf den ersten Blick die
Frauen mit der derzeitigen Lage zufrieden sein können. Fast ein Drittel der neu
gewählten Abgeordneten ist weiblich, was in der Region beispiellos ist. Im
benachbarten Saudi Arabien zum Beispiel dürfen Frauen nicht einmal wählen. Und
Iraks Politikerinnen haben sich - bis zur Verabschiedung der endgültigen
Verfassung - auf ein Übergangsgesetz geeinigt, das die Gleichberechtigung von
Frauen fördert.
Diese Zusammensetzung der Nationalversammlung war allerdings
das Ergebnis einer Quotenregelung, die der frühere amerikanische Verwalter L.
Paul Bremer dem Irak aufgezwungen hatte. Sein Veto allein hat verhindert, dass
die erste irakische Regierung, der Regierende Rat, die islamische Scharia
eingeführt hat. Ein solches Vetorecht haben die Amerikaner jetzt nicht mehr.
Und der Vorkriegsirak war zwar eine brutale Diktatur gewesen,
doch er hatte in Sachen Frauenrechte eine positive Bilanz vorzuweisen. Saddam
Husseins Baath-Partei bekannte sich nicht nur zur Gleichberechtigung, sondern
praktizierte sie auch in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Frauen konnten
sich von ihren Ehemännern scheiden lassen, Grundbesitz erben, sogar nach einer
Trennung ihre Kinder behalten. Es war üblich, dass Frauen in qualifizierten
Berufen, selbst in hochrangigen, arbeiteten. Sie hatten gleiche Bildungschancen
und trugen in den Städten selten Kopfbedeckungen, außer in überwiegend schiitischen
Gebieten.
»Trotz seiner Brutalität und seines Terrors hat das
Baath-Regime Frauen gut behandelt«, sagt die aus dem Irak stammende
Amerikanerin Amal Rassam von >Freedom House<, einer Unterstützungsgruppe
mit Sitz in den USA. Die Baath-Partei war allerdings eine vorherrschend
sunnitische Institution, und der fortschrittliche Status von Frauen war in
schiitischen Gebieten nicht annähernd so selbstverständlich. Die Schiiten,
obwohl zahlenmäßig stärker, waren unter Saddam weitgehend entrechtet; jetzt
aber werden sie in der Regierung den Ton angeben.
Frauenrechtlerinnen beobachten schon jetzt Verschlechterungen,
die sie nie für möglich gehalten hätten. An Schulen und Universitäten nimmt die
Zahl der Mädchen und Frauen ab. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht von
>Freedom House<, der im Mai erscheinen wird. »Frauen, denen ich in Bagdad
begegnet bin, erzählen mir, dass sie jetzt den Hidjab, das islamische Kopftuch,
tragen müssen, wenn sie aus dem Haus gehen, aus Angst vor Schikanen«, klagt
Rassam. Die Terroristen sind eine gefährliche Minderheit, aber nicht die
einzige Sorge weltlich gesinnter Irakerinnen.
Dalia, 28, verheiratet, schildert, wie sie vor sechs
Monaten in Bagdad auf dem Weg nach Hause von drei Männern, die in einem Wagen
neben ihr anhielten, beschimpft wurde, weil sie Jeans und ein T-Shirt trug.
»Ich bin Christin, keine Muslimin«, sagte sie ihnen. Darauf sprang einer der
Männer aus dem Wagen, versuchte ihr das T-Shirt vom Leib zu reißen und rief:
»Saddams Zeiten sind vorbei. Jeder muss den Islam respektieren.« Zum Glück
schalteten sich Passanten ein.
»Wir haben im Irak über ein halbes Jahrhundert lang ein modernes
Leben geführt«, klagt Yanar Mohammed, die Leiterin der organization of Women's Freedom
in Iraq< (OWFI). »Wir sind keine konservative islamische Gesellschaft, wie
uns der
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