Schwarzer, Alice
Liberale, Erfolg hat, sondern so jemand wie der unselige
Gulbuddin Hekmatyar, der für ein Bündnis aller Fanatiker trommelt: Hekmatyar im
Verein mit der Nordallianz und den Taliban - gegen den satanischen Westen...
Hekmatyar war derjenige unter den sogenannten Heiligen
Kriegern, der vor 15 Jahren während des Stellvertreterkrieges gegen die
Sowjetunion am üppigsten von den USA und deren Bundesgenossen, dem
pakistanischen Geheimdienst ISI, ausgestattet worden war: Fünf Milliarden
Dollar ließ sich Washington den ersten Afghanistan-Krieg kosten! Und der dann
zwei Jahre seine ehemaligen Kampfesbrüder in Kabul unter Artilleriebeschuss
nahm, weil er die Nummer 1 sein wollte nach dem Abzug der Sowjets.
Es waren nicht die Bombardements der Amerikaner, die Kabul
jetzt so aussehen lassen, wie es allabendlich über unsere Fernsehschirme
huscht. Es war der Dauerbeschuss Hekmatyars, der die einstmals so vitale und
weltoffene Metropole an den Kreuzwegen Zentralasiens in Schutt und Asche
legte. Fast 100.000 Menschen starben bei diesem internen Machtkampf der Männer,
60.000 Witwen blieben ohne Versorger zurück. Und Hekmatyar, der religiöse
Fanatiker - der schon als Student seinen Kommilitoninnen an der Universität
Säure ins Gesicht schüttete, wenn sie in Jeans und ohne Schleier daherkamen -,
er spinnt immer noch seine intriganten Fäden.
Die westliche Welt freilich hätte gerne, dass die
Vereinten Nationen sich auf Dauer durchsetzen, die irgendeine Art von breit
gefächerter Übergangsregierung zusammenzimmern wollen: mit dem König als
Symbolfigur und allen Stämmen, Völkerschaften und Religionen gleichberechtigt
nebeneinander. Und natürlich unter Ausschluss der Taliban. Brahimis
Versicherung, ohne Beteiligung der Frauen werde nichts laufen, ist zwar löblich,
aber wenig glaubhaft. Die UNO ist bekannt dafür, dass sie auf dem Frauenauge
blind und geneigt ist, schnell wegzusehen, wenn Männer sich wichtigmachen.
Unter den Namen, die jetzt für eine Interimsregierung gehandelt werden,
befindet sich nicht ein einziger Frauenname.
Dabei, was haben die Männer aus ihrem Land gemacht? Ein
Totenreich der Angst. Seit fast einem Vierteljahrhundert herrscht in
Afghanistan Krieg. Jeder Mann hat ein Gewehr zu Hause, als Beweis seiner
Männlichkeit. Krieg ist ein Handwerk, im wahrsten Sinne des Wortes, wo es
sonst kaum etwas zu verdienen gibt. Und Krieg scheint diesen Männern richtig
Spaß zu machen. Den Eindruck hatte ich immer wieder in den letzten 20 Jahren,
wenn ich als Korrespondentin in Afghanistan unterwegs war. Mit glänzenden
Augen ballern schon die Zwölfjährigen auf ihre Opfer, je größer der
Schießprügel, desto besser. Eine ganze, nein, zwei ganze verrohte Generationen.
Und alles im Namen des Islam.
Mehr als eine Million Tote, und jeden Tag kommen neue hinzu.
Nicht nur wegen der Kämpfe, sondern weil noch 30 Millionen Minen im Boden
versteckt liegen. Ein Drittel der Bevölkerung kann sich nicht mehr selbst
ernähren, jedes vierte Kind unter fünf stirbt an Unterernährung, die
Müttersterblichkeit ist die zweithöchste in der Welt, nur vier Prozent der
Frauen können lesen und schreiben. Das ist die afghanische Horrorstatistik
nach 25 Jahren Männerterror im Namen des Islam.
Statistisch nicht erfasst wird, dass die Frauen die
eigentlichen Opfer dieses Terrors sind, weil sie zum Schweigen gebracht wurden.
Als die Taliban (dieses Monster sogenannter Koran-Studenten, das der
pakistanische Geheimdienst ISI zusammen mit den fundamentalistischen Mullahs
Pakistans zur Durchsetzung der Machtinteressen Islamabads geschaffen hatte) 1994
auf der Bildfläche erschienen und 1996 Kabul besetzten, »waren wir Frauen noch
weniger wert als Tiere«, sagt eine ehemalige Ärztin. Aus der Öffentlichkeit
verdrängt, hinter geschwärzten Scheiben in ihren Häusern versteckt, wurde ihnen
nicht mehr erlaubt, auf die Straße zu gehen, etwa zum Einkaufen auf dem Markt.
Nur bei Begleitung eines männlichen Verwandten war es für eine Frau überhaupt
möglich herauszukommen, für eilige Gänge unter der alles verhüllenden Burka,
durch deren Augengitter nicht einmal die eigenen Füße zu sehen sind. Heiß ist
es unter einem solchen Krähengewand, die Orientierung schwindet, und die
Konfusion wächst.
Kein Wunder, dass die blauen Gestalten wie schwankend
durch die Trümmerwüsten ihrer Städte huschten, als schmutzige Bündel auf dem
Boden hockten und jammererweckend ihre von der Burka bedeckten Hände zum
Betteln erhoben. Das wurde
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