Schwarzer, Alice
Konferenz vom Juni 2000 in der
tadschikischen Hauptstadt Duschanbe liegt die »Erklärung der Grundrechte der
afghanischen Frauen« allen internationalen Gremien vor, die in vielen Punkten
zu den alten Verfassungen von 1964 und 1977 zurückkehrt, welche von Frauen
mitgestaltet wurden und die Diskriminierung, wenigstens auf dem Papier,
beendeten.
Ausgerechnet unter den Sowjets sollten die Frauen Afghanistans
dann ihre freieste Zeit haben, eine Zeit, die vielen von ihnen Bildungschancen
eröffnete wie nie zuvor, auch dank eines Studiums in Moskau. Heute sind all
diese Frauen, wenn sie es irgendwie geschafft haben, im Exil. Aber diese
Exil-Afghaninnen sind keine homogene Gruppe, sie kämpfen keinen gemeinsamen
Kampf. Noch nicht einmal jetzt. Geradezu aberwitzig ist es, dass all die
gebildeten Frauen Afghanistans, die ja fast ausnahmslos im Exil leben, sich
dort erbittert bekämpfen: »Royalistinnen« gegen »Kommunistinnen« und
umgekehrt. Ausgerechnet jetzt, wo ihr Land sie dringend braucht. Da ist die
Gruppe der alten Elite, die noch aus der Königsperiode stammt und die beim
Putsch der Kommunisten 1979 floh. Und da ist die in der Sowjetzeit ausgebildete
zweite Gruppe, die nach 1992 ging, als die Mudschaheddin nach dem Fall des
letzten Moskau-Statthalters Najibullah ihre Schreckensherrschaft begannen. Auch
diese Frauen, die nun als »Kommunistinnen« beschimpft werden, treten für ein
neues Afghanistan ein. »Ohne Frauen ist Demokratie nicht möglich«, sagt eine
der »Moskau«-Ingenieurinnen beschwörend. Denn:
»Wer ist es denn, der eine neue Zivilgesellschaft aufbauen
könnte: die Kriegsherren, die nur zerstört haben - oder die Frauen, die dafür
gesorgt haben, dass ihre Kinder überlebten?« Auch Sippi Azerbaijani von der
UN-Kommission für Flüchtlingsfrauen und -kinder fordert, dass die afghanischen
Frauen eine Rolle an den Konferenztischen bekommen. »Wenn die Vereinten
Nationen nach neuen politischen Führern Ausschau halten, dann müssen sie auch
auf die Frauen schauen.«
Damit meinte sie wohl auch: unter die Burka schauen. Denn
auch da ist mittlerweile eine ganze Truppe mutiger und entschlossener Frauen
herangewachsen, die gegen die bedingungslose Unterwerfung kämpfen, in
Afghanistan selbst und auch in den von den Fundamentalisten beherrschten
Flüchtlingslagern mit ihren dreieinhalb Millionen Menschen in Pakistan und im
Iran. Das ist vor allem RAWA zu verdanken, der »Revolutionary Afghan Women's Association«,
die seit dem 11. September plötzlich in aller Welt bekannt ist. Dabei besteht
diese Gruppe schon seit 1977 und hat sich nicht nur als die wichtigste Stimme
gegen Fundamentalismus und Taliban profiliert, sondern auch als aktivste
Helferin in Afghanistan und in den Lagern, beides lebensgefährliche Orte für
aufgeklärte Frauen, die ihre Mitschwestern wie Menschen behandeln.
RAWA unterhält seit Jahren heimlich Schulen für Mädchen
und brachte Analphabeten-Frauen das Schreiben bei; daneben lag immer der offene
Koran, falls die Geheimpolizei auftauchte. RAWA verkaufte Teppiche, Stickereien
und Eingemachtes, das die Frauen heimlich herstellten, damit sie wenigstens
irgendein Einkommen hatten. RAWA bildete Krankenschwestern aus, weil es keine
medizinische Versorgung gibt für Frauen in den Dörfern und so gut wie keine in
Kabul, ihre Mitglieder reisten in Burka-Verkleidung von Ort zu Ort, um die
Frauen über ihre Rechte aufzuklären und darüber, was wirklich im Koran steht.
Und sie machten etwas ganz Ungewöhnliches: Sie filmten heimlich das Afghanistan
der Taliban. Damit riskierten sie ihr Leben.
»Wenn sie uns gefunden hätten, hätten sie uns gesteinigt
oder erschossen«, sagt RAWA-Frau Salah, und RAWA-Frau Machmuda klagt: »RAWA ist
vollkommen allein in ihrem Kampf gegen den islamischen Fundamentalismus.«
Salah und Machmuda heißen in Wirklichkeit ganz anders. Aber seit der Ermordung
von Meena, der Gründerin ihrer Organisation, und mehrerer Frauen, die sich für
Frauen eingesetzt haben, gibt es nur noch Pseudonyme und höchste
Geheimhaltung. Ich habe selbst in den vergangenen Jahren zahlreiche
RAWA-Schulen und Krankenhäuser gesehen, ohne zu wissen, dass RAWA
dahintersteckt, und selbst Mitglieder der Gruppe kennen nicht die wahre
Identität der Frau, die an ihrer Seite arbeitet.
Es ist etwas Geheimnisvolles um RAWA, eine gewisse Undurchsichtigkeit.
Doch das zeigt nur, wie schlimm es um Afghanistan steht, dass Frauen, die für
Gleichberechtigung kämpfen, wie eine Geheimorganisation
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