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Schwarzer, Alice

Schwarzer, Alice

Titel: Schwarzer, Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die grosse Verschleierung
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Westen darstellt. Wir wurden selbst vom Aufstieg des politischen Islam
überrascht.« Die Angst vor Terroranschlägen radikaler Islamisten veranlasst
viele Frauen, innerhalb ihrer vier Wände zu bleiben.
    >Women for Women International (WFWI)< schätzt, dass
Millionen Irakerinnen sich wegen der Androhung von Gewalt nicht aus dem Haus
trauen. »Solange keine Sicherheit herrscht, können wir nicht einmal auf die
Straße gehen, um gegen die Verletzung unserer Rechte zu protestieren«, sagt
die Frauenrechtlerin Naba al Barak, Biologieprofessorin an der Universität
Bagdad.
    Als der ehemalige Regierende Rat im Dezember 2003 versuchte,
das Gesetz der Scharia einzuführen, gingen Frauengruppen noch auf die Straße.
Ihr Protest bewegte Bremer dazu, einzugreifen und die Verabschiedung des
Gesetzes zu verhindern. Heute würden solche Demonstrationen den Aufständischen
nur noch einfache Zielscheiben liefern.
    Die ermordete Apothekerin war eine solche Zielscheibe.
»Zeena Qushtaini hat ihr Leben lang in Bagdad gelebt - sie war politisch
engagiert und unabhängig. Und sie war gewohnt, westlich gekleidet aus dem Haus
zu gehen«, sagt Manal Omar, die das WFWI-Büro im Irak leitet. »Ihr war nicht
klar, wie sehr sich Bagdad verändert hat.« Qushtainis Freundin Zainab Salbi,
Irako-Amerikanerin und Gründerin von >Women for Women International< weiß:
»Frauen sind im Irak ganz systematisch als Zielscheiben für Mordanschläge
ausgesucht worden. Alle haben dasselbe Profil: gebildete, berufstätige, freisinnige
Frauen, die ihren alten Lebensstil beibehalten haben.«
    Zwei weitere gezielte Morde an Frauenrechtlerinnen haben
die emanzipierte Community in Bagdad besonders erschreckt. Nur zwei Wochen vor
der Ermordung von Qushtaini wurde die feministische Aktivistin Alham in der
Nähe der Widerstandshochburg Abu Graib entführt, einem Vorort Bagdads, der bekannt
ist für sein berüchtigtes Gefängnis. Alham trug eine Aktentasche mit
Flugblättern bei sich, auf denen eine Frauenkonferenz angekündigt wurde, und
ein Notizbuch mit den Namen von Mitstreiterinnen. Sie wurde nie wieder gesehen.
    »Alham hatte fast alle unsere Telefonnummern, kannte all
unsere Standorte und die Namen aller wichtigen Akteurinnen im Kampf um die
Frauenrechte«, sagt Omar. Nur eine Woche später verschwand eine von Alhams
Kontaktpersonen, ebenfalls spurlos. Andere sind abgetaucht, und einige haben
sich angewöhnt, Panzerwesten zu tragen und Pistolen mit sich zu führen. Omar
ist nach Amman in Jordanien gezogen, nachdem die Leiterin von CARE, Margaret
Hassan, letztes Jahr entführt und ermordet wurde. »Es sind düstere Zeiten
angebrochen, wenn engagierte Frauen sich nachts gegenseitig anrufen, um sich zu
vergewissern, dass alle noch am Leben sind.«
    Viele der Anschläge auf Frauenrechtlerinnen waren auffallend
brutal, selbst nach den blutrünstigen Maßstäben der Aufständischen im Irak.
Amal Mamalchi arbeitete gerade erst zwei Monate im Ministerium für öffentliche
Arbeiten, als Terroristen sie am 20. November letzten Jahres erwischten. Weit
besser bekannt war sie als prominentes Mitglied des >Iraqi Women's Networks<,
einer Dachorganisation von 80 irakischen Gruppen. Vier mit Kalaschnikoffs
bewaffnete Männer umzingelten ihren Wagen auf einer Straße in Bagdad und
durchsiebten ihn mit 160 Kugeln, wobei sie nach Polizeiangaben mindestens
zehnmal getroffen wurde.
    Der Mordfeldzug wird von sunnitischen Extremisten geführt,
die jetzt den aktiven Widerstand im Irak bilden. Doch es hat auch Drohungen
vonseiten schiitischer Radikaler gegeben. Fulla Khalil, 20, bemerkte einen
gespenstischen Wandel in ihrer Nachbarschaft im Zentrum Baghdads, nachdem
Anhänger des Geistlichen Moqtada al-Sadr eine schiitische Moschee dort unter
ihre Kontrolle gebracht hatten. »Man sah mich anders an«, sagt Khalil, die im
Büro der Organization of Women's Freedom in Iraq< arbeitet. »Ich fühlte mich
überwacht.« Die jungen Männer in ihrer Wohnanlage hörten auf, mit ihr zu
sprechen; ein älterer Wachmann hörte auf, sie bis an ihre Wohnungstür zu
begleiten. Vor etwa drei Monaten begannen die Drohungen.
    Die erste Warnung kam von einem jungen Mann, den sie aus
ihrer Wohnanlage kannte: Trag keine engen Hosen und geh nicht ohne
Kopfbedeckung. Khalil ignorierte ihn. Etwa einen Monat danach erhielt ihr Vater
eine zweite Warnung: Lass deine Tochter keine Blusen tragen. Die letzte Warnung
kam vor etwa zwei Wochen und war direkt an Khalil gerichtet: Hör auf, für die
Frauenorganisation zu

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