Schwarzer Engel
streckte die Hand aus und fing den schimmernden Tropfen mit der Fingerspitze auf. „Dein Mitgefühl ist bewundernswert, aber es wird dich vernichten, wenn du ihm so viel Macht über dich einräumst.“
Mit einer Handbewegung wischte sie seine Worte fort. Vielleicht weil sie nicht daran glaubte oder weil sie es sehr wohl glaubte, aber nicht vorhatte, etwas dagegen zu unternehmen, und deshalb nicht weiter darüber reden wollte. „Also, wer ist die Frau in deiner Wolke? Die auf den Gemälden?“
Er … wurde rot? Ja, da breitete sich Hitze auf seinen Wangen aus. „Meine …“ Wie sollte er Bianka erklären? Wie könnte er, ohne zu lügen?
„Geliebte?“, beendete sie seinen Satz.
Ein weiterer Hitzeschub strich über sein Gesicht. „Nein.“ Vielleicht. Nein! „Sie ist meine Gefangene.“ So. Die Wahrheit, ohne irgendwelche Details preiszugeben. „Und jetzt“, setzte er an und erhob sich – wenn sie ein Thema beenden konnte, konnte er das genauso –, „muss ich zu ihr zurück, bevor sie noch mehr Ärger macht.“ Er musste das mit ihr erledigen. Ein für alle Mal.
Olivia blieb noch lange sitzen, nachdem Lysander gegangen war. War dieser errötende, unsichere, abgelenkte Mann tatsächlich ihr Mentor? Seit Jahrhunderten kannte sie ihn, und immer war er unerschütterlich gewesen. Selbst in der Hitze des Gefechts.
Die Frau war verantwortlich dafür, da war Olivia sich sicher. Lysander hatte bisher niemanden in seiner Wolke beherbergt. Empfand er für die Frau vielleicht, was Olivia für Aeron empfand?
Aeron .
Der bloße Gedanke an seinen Namen sandte ihr einen Schauerüber den Rücken, erfüllte sie mit dem Bedürfnis, ihn zu sehen. Und schon war sie auf den Beinen, die Flügel ausgebreitet.
„Ich will gehen“, sagte sie und der Fußboden gab langsam nach, verwandelte sich in Nebel. Mit graziös schlagenden Flügeln machte sie sich auf den Weg nach unten. Sorgsam mied sie den Blickkontakt mit den anderen Engeln, die im Himmel unterwegs waren, während sie in Richtung Budapest flog. Sie wussten, wohin sie unterwegs war; sie wussten sogar, was sie dort tat.
Manche sahen ihr mitleidig hinterher, manche besorgt – genau wie Lysander. Manche warfen ihr Blicke voller Abneigung zu. Indem sie niemandem in die Augen sah, sorgte sie dafür, dass niemand versuchte, sie aufzuhalten und zur Vernunft zu bringen. Sie sorgte dafür, dass sie nicht würde lügen müssen. Etwas, das sie hasste. Lügen schmeckten widerwärtig bitter.
Vor langer Zeit, noch während ihrer Ausbildung, hatte Lysander ihr befohlen, eine Lüge auszusprechen. Nie würde sie die abartige Flut von beißender Säure vergessen, die ihren Mund erfüllt hatte, sobald sie gehorcht hatte. Nie wieder wollte sie so etwas erleben. Aber um bei Aeron sein zu können … Vielleicht schon.
Endlich kam seine düstere, bedrohliche Burg in Sicht, hoch auf einem Berg. Ihr Herzschlag beschleunigte sich exponentiell. Weil sie auf einer anderen Ebene der Realität existierte, konnte sie durch die steinernen Mauern gleiten, als wären sie überhaupt nicht da. Schon bald stand sie in Aerons Schlafzimmer.
Er polierte gerade eine Waffe. Seine kleine dämonische Freundin Legion, die, der er die Flucht aus der Hölle ermöglicht hatte, hüpfte und wand sich um ihn herum, eine pinke Federboa im Schlepptau.
„Tanzzz mit mir“, bettelte die Kreatur.
Das sollte Tanzen sein? Menschen zuckten so hin und her, wenn sie im Sterben lagen.
„Ich kann nicht. Ich muss heute Nacht in der Stadt patrouillieren, Jäger suchen.“
Jäger, die erklärten Feinde der Herren. Sie wollten die Büchse der Pandora ausfindig machen und die Dämonen aus den unsterblichenKriegern holen, wobei jeder der Männer sterben würde. Die Herren wiederum hofften, die Büchse vor ihnen zu finden und zu vernichten – genau wie sie die Jäger vernichten wollten.
„Ich hasssse Jäger“, erklärte Legion, „aber brauchen Übung für Zzzweifelchensss Hochzzzeit.“
„Ich werde auf Sabins Hochzeit nicht tanzen, also ist keine Übung nötig.“
Legion blieb stehen und runzelte die Stirn. „Aber wir tanzzzen auf Hochzzzeit. Wie Pärchen.“ Ihre dünnen Lippen verzogen sich. Machte sie … einen Schmollmund? „Bitte. Haben immer noch Zzzeit zzzum Üben. Issst noch ssstundenlang hell.“
„Sobald ich meine Waffen fertig gereinigt habe, muss ich was für Paris erledigen.“ Paris, wusste Olivia, war der Hüter der Promiskuität und musste jeden Tag eine andere Frau ins Bett bekommen, sonst
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