Schwarzer Koks (German Edition)
zerrissene Hemd hing ihm von den Schultern. An seinem Hals baumelte ein Sturmgewehr, das sich in Zweigen und Felsen verfing und sein qualvolles Fortkommen behinderte. Der Mann blickte auf und zeigte ihm ein vernarbtes Gesicht. Blutunterlaufene Augen, in denen selbst auf die Entfernung die Angst zu sehen war, starrten direkt in den Feldstecher.
»Das ist Wes!« Elijah fuhr herum zu Patrice. Er wies mit dem Feldstecher in die Richtung des kriechenden Mannes. »Wir müssen ihm helfen!«
»Boss!«
»Wirf den Rettungsring aus.«
»Aber Boss…« Patrice wies auf den Strand.
»Was hab ich dir grade gesagt?«, fuhr Elijah ihn an. Patrice konnte einem so was von auf die Nerven gehen. »Hol den verdammten Rettungsring.«
»Zu spät!«, rief Patrice. »Wir müssen zusehen, dass wir hier wegkommen.«
Elijah fuhr herum. Ein Rush Black Coke brachte seinen Blick für einen Augenblick ins Wanken. Trübe Schatten kamen aus dem Unterholz auf Wes zu wie Dämonen aus dem finstersten Höllenschlund. Der Himmel war wieder finster und aufgewühlt. In seinen Ohren rauschte es.
Schließlich ein Augenblick der Klarheit: Sie waren in einen Hinterhalt geraten.
Fünf Haitianer in zerrissenen Tarnuniformen kletterten hinter Wes die Felsen hinab. Der hatte mittlerweile den Strand erreicht und kam auf das Wasser zu. Er winkte mit beiden Armen. Zwei der Haitianer nahmen ihre Sturmgewehre von der Schulter. Sie knieten nieder, zielten und feuerten. Sand spritzte rund um Wes auf. Wes schrie. Er drehte sich um und spritzte die Haitianer mit seiner eigenen Waffe ab. Einer von ihnen ging zu Boden.
»Lass den Motor an!«, rief Elijah.
Wes hatte jetzt das Meer erreicht. Kugeln fuhren rund um ihn ins Wasser. Die Maschine begann zu grollen; mit einem Beben kam Leben in die Jacht.
Elijah hörte ein Krachen, dann einen dumpfen Schlag. Die Haitianer schossen auf das Boot. Er duckte sich, fummelte nach seiner Waffe und feuerte. Die Kugeln verfehlten ihr Ziel. Er war zu weit weg.
Wes watete bis an die Knie ins Wasser. So weit wie er die Augen aufgerissen hatte, quollen sie ihm schier aus dem Kopf.
»Elijah«, schrie er. »Komm zurück, du Dreckskerl!« Das Boot glitt rückwärts davon.
Elijah wandte sich an Patrice. »Warte auf ihn!«
»Nein«, sagte Patrice.
»Das ist ein Befehl.« Elijah sprang auf.
»Es ist zu spät.«
»Feigling.« Elijah schlug Patrice mit dem Handrücken ins Gesicht.
»Es ist zu spät«, wiederholte Patrice und funkelte Elijah an.
Wieder fielen Schüsse. Als Elijah sich umdrehte, sah er Wes’ Brust explodieren, als eine Garbe Hochgeschwindigkeitsgeschosse durch seinen Körper fuhr. Wie in einem makabren Reggaetanz drehte er sich um die eigene Achse; die Dreadlocks peitschten ihm um den Kopf, das Gewehr um seinen Hals beschrieb einen Kreis. Dann brach er zusammen und kippte kopfüber ins Meer.
Die Jacht begann an Tempo zu gewinnen. Sie waren noch immer im Rückwärtsgang. Geschosse pfiffen in ihre Richtung, bohrten sich in den Rumpf, prallten singend von der Reling. Elijah kniete an Deck und schoss zurück. Die Haitianer hatten jetzt das Wasser erreicht.
»Ich bring euch alle um, ihr Schweine!«, schrie er.
Einer der Haitianer hob etwas in die Höhe. Elijah griff nach dem Feldstecher. Fast wäre ihm das Herz stehengeblieben. Es war der abgetrennte Kopf von einem seiner Leute. Der Haitianer schwang ihn einige Male hoch in der Luft und ließ ihn dann los, sodass er in hohem Bogen davonflog, um schließlich mit einem dumpfen Plumps ins Wasser zu fallen.
Bring Sie um. Bring Sie um. Bring sie um.
Blut durchpulste Elijahs Schläfen. Schwer atmend brach er auf dem Deck zusammen. Tränen liefen ihm übers Gesicht. Wes’ Leiche hob und senkte sich in der sanften Brandung. Alle bis auf einen zogen die Haitianer sich zurück. Der kniete nieder und nahm eine große Röhre mit grüner Spitze auf die Schulter.
»Granate!«, kreischte Patrice.
Ein RPG! Elijah schloss die Augen. Fieberhaft suchte sein Verstand nach dem richtigen Bibelvers.
Alles um ihn drehte sich.
Nur Gott konnte sie jetzt noch retten.
Kapitel 39
Bogotá, Kolumbien
13. April 2011
»Das ist Korruption von einem Ausmaß, wie ich es nie erlebt habe«, sagte Lucia und beugte sich so weit über den Holztisch, dass Nathan zu seiner Überraschung einen Hauch von ihrem Parfüm mitbekam. »Selbst für kolumbianische Maßstäbe.«
Nathan nippte an seiner dampfend heißen Tasse Kaffee. Er war früh aufgewacht und fast so erschöpft wie am Abend zuvor. Er warf
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