Schwarzer Mond: Roman
Star. Zudem war er im Zweiten Weltkrieg ein Verbindungsmann zwischen dem britischen Geheimdienst und den französischen Widerstandskämpfern gewesen, und seine Arbeit als Hypnotiseur für polizeiliche Zwecke hatte seinen mystischen Nimbus noch verstärkt. Deshalb mangelte es ihm nie an Einladungen.
Am Abend des ersten Weihnachtstages besuchte Pablo eine vornehme Dinnerparty für 22 Gäste im Hause von Mr. und Mrs. Ira Hergensheimer in Brookline. Es war ein herrliches Gebäude im Kolonialstil, genauso elegant und einladend wie die Hergensheimers selbst, die ihr Vermögen in den fünfziger Jahren mit Immobilien erworben hatten. Ein Barkeeper versorgte die Gäste in der Bibliothek mit Drinks, weißbefrackte Ober servierten im riesigen Salon Champagner und Kanapees, und im Foyer sorgte ein Streichquartett für dezente musikalische Untermalung.
Der Gast, der für Pablo am interessantesten war, hieß Alexander Christophson, ehemaliger Botschafter am britischen Königshof, für eine Amtsperiode Senator von Massachusetts, später Direktor des CIA, nun seit acht Jahren im Ruhestand. Pablo kannte ihn schon ein halbes Jahrhundert. Mit sechsundsiebzig war Christophson der Zweitälteste Anwesende, aber das Alter war mit ihm fast ebenso freundlich umgegangen wie mit Pablo.
Er war groß, schlank, distinguiert und hatte erstaunlich wenig Falten in seinem rassigen Gesicht. Sein Verstand war so scharf wie eh und je. Seinen langen Lebensweg konnte man nur aus einer leichten Form der Parkinsonschen Krankheit erahnen, die seine rechte Hand fortwährend zittern ließ, obwohl er regelmäßig Medikamente einnahm.
Eine halbe Stunde vor dem Abendessen zog sich Pablo mit Alex für eine private Unterhaltung in Ira Hergensheimers eichengetäfeltes Arbeitszimmer neben der Bibliothek zurück. Der alte Hypnotiseur schloss die Tür, und sie nahmen mit ihren Champagnergläsern in der Hand auf zwei ledernen Ohrensesseln am Fenster Platz.
»Alex, ich brauche deinen Rat.«
»Nun, wie du ja bestimmt aus eigener Erfahrung weißt«, erwiderte Alex, »geben Männer unseres Alters nur allzu gern Ratschläge. Das entschädigt uns dafür, dass wir selbst nichts mehr anstellen können. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich dir zu irgendeinem Problem einen Rat geben könnte, der dir nicht schon selbst eingefallen ist.«
»Gestern hat mich eine junge Frau besucht«, erzählte Pablo. »Es ist eine ungewöhnlich hübsche, charmante und intelligente Frau, die gewohnt ist, ihre Probleme selbst zu bewältigen, aber nun braucht sie verzweifelt Hilfe.«
Alex hob die Brauen. »Mit deinen 81 Jahren bekommst du immer noch Besuch von hilfesuchenden, schönen jungen Frauen? Ich bin beeindruckt, Pablo ... und neidisch!«
»Das hat nichts mit Verliebtheit zu tun, du alter Lustmolch! Es geht nicht um Leidenschaft!«
Ohne Gingers Namen oder Beruf zu verraten, berichtete Pablo seinem Freund von ihrem Problem - den unerklärlichen Fugues und von seiner Hypnose, die mit Gingers erschreckendem Rückzug in einen komaähnlichen Zustand geendet hatte.
»Sie war offenbar wirklich dabei, sich in tiefe Bewusstlosigkeit zu flüchten, vielleicht sogar in den Tod, nur um meinen Fragen zu entgehen. Daraufhin habe ich mich natürlich geweigert, sie wieder in Trance zu versetzen und einen weiteren gravierenden Zwischenfall zu riskieren. Aber ich habe ihr versprochen nachzuforschen, ob in der Fachliteratur irgendwo von einem ähnlichen Phänomen die Rede ist. Den ganzen gestrigen Abend und heutigen Vormittag habe ich damit zugebracht, Bücher zu wälzen und nach Erwähnungen von Erinnerungsblockierungen zu suchen, die zur Selbstvernichtung führen können. Schließlich stieß ich auf etwas Ähnliches ... in einem deiner Bücher. Ein großer Unterschied besteht natürlich - du hast über einen durch fremde Einwirkung herbeigeführten psychischen Zustand infolge von Gehirnwäsche berichtet, während diese Frau ihre Blockierung selbst geschaffen hat; aber trotzdem ist die Ähnlichkeit unverkennbar.«
Auf der Grundlage seiner Erfahrungen bei den Geheimdiensten, sowohl im Zweiten Weltkrieg als auch in den Jahren des Kalten Krieges, hatte Alex Christophson zahlreiche Bücher geschrieben, darunter auch zwei zum Thema Gehirnwäsche. In einem davon hatte er eine Technik beschrieben, die er >Asrael-Blockierung< nannte (nach einem der Todesengel) und die auffallende Ähnlichkeit mit der Barriere aufwies, die Ginger Weiss um irgendein traumatisches Erlebnis ihrer Vergangenheit errichtet
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