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Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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Geländer, als hätte ich vor, es gleich ganz zu ersteigen und mich in den sicheren Tod zu stürzen. Das hatte den zusätzlichen Nutzen, dass ich nun sehen konnte, was der Gesichtslose tat.
    Er wickelte weiter die Mädchen ein. »Ich weiß, dass Sie glauben, Sie seien verflucht. Dazu verdammt, Ihren unnatürlichen Appetit zu stillen, indem Sie anderen Leuten die Lebensenergie aussaugen. Aber ich möchte Sie bitten, sich von diesem engstirnigen Denken zu lösen.«
    Seine Gesichtszüge konnte ich immer noch nicht erkennen, aber seit Alexander Smith uns sein Gesicht beschrieben(oder besser: nicht beschrieben) hatte, hatte ich ein wenig recherchiert. Victor Bartholomew, der vielleicht langweiligste Magier aller Zeiten, nannte es
Vultus occulto
– was selbst ich als Gossenlatein erkannte   – und widmete den Gegenmaßnahmen ein ganzes Kapitel, das man, typisch für Bartholomew, letztlich in einem Satz zusammenfassen konnte: »Schau ganz genau hin, dann erkennst du es früher oder später.« Und das tat ich nun.
    »Nehmen wir mal an«, sagte der Gesichtslose, »nur rein hypothetisch   – was, wenn es gut und richtig wäre, anderen Lebewesen Energie auszusaugen? Was ist das Aussaugen von Energie denn anderes als gute alte Ausbeutung? Und Menschen auszubeuten ist doch für uns alle völlig selbstverständlich, nicht wahr?«
    Ich sah zu Simone hinüber. Sie und ihre Schwestern hatten einander losgelassen und hörten dem Gesichtslosen mit demselben höflichen Interesse zu, wie man einem Würdenträger bei einer Festrede lauscht, immer in der Hoffnung, dass er bald auf den Punkt kommt und fertig wird.
    Ha, dachte ich. Vor Tyburn lägen sie jetzt schon auf den Knien.
    »Diese Idee von der Gleichheit aller Menschen steht ohnehin vor dem intellektuellen Konkurs.« Während er weitersprach, blinzelte ich ein paarmal, und plötzlich konnte ich sein Gesicht sehen. Oder vielmehr, ich konnte es nicht, denn sein ganzer Kopf steckte in einer schlichten beigefarbenen Maske. Er sah damit aus wie ein mexikanischer Wrestler mit ungewöhnlich gutem Geschmack. Ich glaube, er spürte, dass ich seine Tarnung durchdrungen hatte, denn er drehte sich zu mir um.
    »Sind Sie immer noch da?«
    »Ich überlege noch, ob ich lieber mit dem Kopf oder den Füßen zuerst springe.«
    »Denken Sie denn, dass das einen Unterschied macht?«
    »Statistisch gesehen sind die Überlebenschancen größer, wenn man mit den Füßen voraus springt.«
    »Warum springen Sie nicht einfach, und wir schauen, was passiert?«
    Da fühlte ich es wieder, das
Seducere
, diesmal stärker und begleitet von dem Geruch nach Schweinebraten, frisch gemähtem Gras, dem Gestank ungewaschener Leiber und einem metallischen Geschmack wie nach Eisen in meinem Mund. Ich drehte mich zum Geländer um, hielt inne und wandte mich wieder um. »Wie, sagten Sie doch gleich, war Ihr Name?«
    »Spring«, bellte der Gesichtslose.
    Er lenkte all seine Aufmerksamkeit auf mich, aber
Seducere
wirkt anscheinend nie öfter als einmal, und während er es auf mich richtete, konnte er es nicht auf Simone richten.
    »Haut ab!«, schrie ich.
    Simone wurde als Erste wieder klar und zog an Peggys Arm. Beide warfen mir einen ängstlichen Blick zu, dann packten sie Gott sei Dank Cherie und machten sich daran, über die Brüstung zu klettern, die den Dachgarten vom nächsten Dach trennte. Ich sah wieder den Gesichtslosen an, gerade rechtzeitig, um zu bemerken, dass er dabei war, den Arm in meine Richtung auszustrecken. Ich erkannte die Geste   – ich hatte sie die letzten sechs Monate lang selbst geübt. Das rettete mir das Leben, denn ich war kaum nach links weggetaucht, als etwas Heißes, Helles anmeiner Schulter vorbeischoss und ein Loch von einem halben Meter Durchmesser ins Geländer schmolz. Ungefähr dort, wo vorher mein Magen gewesen war.
    Noch im Fallen schleuderte ich zwei Skin-Granaten auf ihn, was viel beeindruckender gewesen wäre, wenn ich nicht eigentlich vorgehabt hätte, einen richtigen Feuerball hinzukriegen. Während ich über den Boden schlitterte, schmolz ein weiteres Stück Geländer hinter mir, und ich sah, dass eine meiner Skin-Granaten harmlos mitten in der Luft hochging; die andere fiel zu Boden und kullerte vor die Füße des Gesichtslosen. Er sah hinunter, und durch pures Glück explodierte sie genau in diesem Moment. Der Schlag warf ihn zurück, und er drehte sich um die eigene Achse. Ich nutzte den Moment aus, um auf die Füße zu kommen und mich ihm gegenüber aufzustellen.

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