Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
sich rasch durch den Flur entfernte. Dann war sie verschwunden.
Ich wollte gerade gehen, da öffnete sich die Tür noch einmal, und ihr Vater kam heraus.
»Peter.« Männer wie Henry May werden nicht leichtverlegen, daher können sie es dann umso schlechter verbergen. »Ich dachte, vielleicht trinken Sie eine Tasse Tee mit mir – an der Hauptstraße gibt es ein Café.«
»Danke«, sagte ich. »Aber ich muss zurück nach London.«
»Oh.« Er kam einen Schritt näher und machte eine unbestimmte Geste in Richtung Haus. »Sie will nicht, dass Sie sie ohne die Maskierung sehen. Drinnen nimmt sie das alles ab, und wenn Sie mit reinkämen … Sie will nicht, dass Sie sie so sehen. Das verstehen Sie, oder?«
Ich nickte.
»Sie will nicht, dass Sie sehen, wie schlimm es ist.«
»Und wie schlimm ist es?«
»Ich würde sagen, schlimmer geht’s nicht«, sagte Henry.
»Tut mir leid.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich wollte nur, dass Sie wissen, dass sie es nicht böse gemeint hat oder so. Dass Sie sich nicht weggeschickt fühlen.«
Aber ich wurde weggeschickt. Deshalb sagte ich auf Wiedersehen, stieg in den Jaguar und machte mich auf den Rückweg nach London.
Es war mir gerade gelungen, die A12 wiederzufinden, da rief Dr. Walid an und sagte, er habe da eine Leiche, die ich mir anschauen solle. Ich trat aufs Gas. Das bedeutete Arbeit, und genau das war es, was ich jetzt brauchte.
Alle Krankenhäuser, in denen ich je war, hatten den gleichen Geruch – diese Mischung aus Desinfektionsmittel, Erbrochenem und Sterblichkeit. Das University College Hospital war brandneu, keine zehn Jahre alt, aber schon setzte der Geruch sich auch hier fest – paradoxerweise nurnicht im Keller, wo die Toten aufbewahrt wurden. Hier unten war die Farbe an den Wänden noch frisch, und das blassblaue Linoleum quietschte unter den Sohlen.
Den Eingang zur Leichenhalle erreichte man über einen langen Korridor, der mit Bildern des Middlesex Hospital aus der guten alten Zeit gespickt war, als der Gipfel des medizinischen Fortschritts darin bestand, dass die Herren Doctores sich zwischen zwei Behandlungen die Hände wuschen. Es handelte sich um eine elektronisch gesicherte Brandschutz-Doppeltür mit einem Schild: ZUTRITT FÜR UNBEFUGTE VERBOTEN – STOP! – NUR FÜR PERSONAL. Ein zweites Schild wies mich an, den Knopf an der Sprechanlage zu drücken. Ich gehorchte. Die Anlage gab ein Quaken von sich. Für den Fall des Falles, dass das eine Frage sein sollte, erklärte ich, ich sei Constable Peter Grant und wolle zu Dr. Walid. Es quakte wieder, ich wartete, dann öffnete sich die Tür, und vor mir stand Dr. Abdul Haqq Walid, Gastroenterologe und Kryptopathologe von Weltrang und bekennender Schotte.
»Peter«, sagte er. »Wie geht’s Lesley?«
»Geht so, glaube ich«, gab ich zurück.
In der Pathologie sah es ähnlich aus wie im übrigen Krankenhaus, nur hörte man weniger Patientenbeschwerden über den staatlichen Gesundheitsdienst. Dr. Walid geleitete mich an dem Security-Typen am Empfang vorbei und stellte mir die Leiche des Tages vor.
»Wer ist das?«, fragte ich.
»Cyrus Wilkinson. Er ist vorgestern in einem Pub am Cambridge Circus kollabiert, wurde in die Notaufnahme gebracht, dort für tot erklärt und zur Routineautopsie hier heruntergeschickt.«
Der arme Cyrus sah eigentlich gar nicht so schlecht aus, abgesehen von dem Y-förmigen Schnitt vom Brustkorb bis zu den Lenden natürlich. Zum Glück war Dr. Walid schon damit fertig, in seinen Organen zu wühlen, und hatte ihn zugenäht, bevor ich kam. Cyrus Wilkinson war ein Weißer etwa Mitte vierzig, noch ziemlich gut in Schuss – leichter Bauchansatz, aber Arme und Beine hatten deutliche Muskeln. Ich hätte darauf getippt, dass er regelmäßig joggte.
»Und er ist hier, weil …?«
»Nun, es gibt Anzeichen für Gastritis, Pankreatitis und Leberzirrhose.«
Letzteres konnte ich einordnen. »Hat er getrunken?«
»Unter anderem«, sagte Dr. Walid. »Er war extrem anämisch, was zwar mit seinen Leberproblemen zusammenhängen könnte, aber ich würde eher auf einen B 12 -Mangel tippen.«
Ich warf noch einen Blick auf die Leiche. »Sieht aber einigermaßen trainiert aus.«
»Er war wohl noch recht sportlich. Nur in letzter Zeit hat er sich anscheinend gehenlassen.«
»Drogen?«
»Ich habe alle Schnelltests gemacht. Nichts«, erklärte er. »Bis ich die Ergebnisse der Haarproben habe, wird es noch ein paar Tage dauern.«
»Was war
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