Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
stimmte.«
Sie verstummte, wandte den Blick ab und ballte die Hände zu Fäusten. Ich wartete einen Augenblick, dann ging ich ein paar Routinefragen durch, um ihr Gelegenheit zu geben, ihre Fassung wiederzuerlangen – um wie viel Uhr war das gewesen, wer hatte den Rettungswagen gerufen, und war sie die ganze Zeit bei ihm geblieben? Die Antworten hielt ich in meinem Notizbuch fest.
»Ich wollte mit in den Rettungswagen, aber ehe ich mich versah, war er schon weg. Jimmy fuhr mich zum Krankenhaus. Als ich ankam, war es schon zu spät.«
»Jimmy?«
»Der Schlagzeuger. Sehr netter Mensch, Schotte, glaube ich.«
»Können Sie mir seinen vollen Namen geben?«
»Ich fürchte nein«, sagte sie. »Ist das nicht schrecklich? Für mich war er immer nur Jimmy am Schlagzeug.«
Ich fragte nach den übrigen Bandmitgliedern, aber sie kannte sie nur als Max am Bass und Danny am Piano.
»Sie müssen mich für eine unmögliche Person halten. Ich
muss
eigentlich ihre Namen kennen, aber sie fallen mir einfach nicht ein. Vielleicht ist es der Schock wegen Cyrus, weil es alles so plötzlich kam.«
Ich fragte, ob Cyrus in letzter Zeit krank gewesen sei oder ob er chronische gesundheitliche Probleme gehabt habe. Simone verneinte. Auch den Namen seines Hausarztes kannte sie nicht, bot mir aber an, sie könne in Cyrus’ Unterlagen danach suchen, falls nötig. Ich machte mir eine Notiz, ihn von Dr. Walid zu erfragen.
Damit glaubte ich genug Fragen gestellt zu haben, um den eigentlichen Grund meines Besuchs zu vertuschen, und fragte so unverfänglich wie möglich, ob ich mich noch rasch im Haus umsehen dürfe. Normalerweise genügt die bloße Anwesenheit eines Polizisten, um auch im gesetzestreuesten Bürger vage Schuldgefühle und infolgedessen einen ausgesprochenen Widerwillen dagegen zu wecken, irgendwelche Polizeiplattfüße in seinen geheiligten vier Wänden herumtrapsen zu lassen. Daher war ich etwas überrascht, als Simone einfach in Richtung Flur winkte und sagte: »Bitte, nur zu.«
Das Obergeschoss sah ungefähr so aus, wie ich erwartet hatte: nach vorne hinaus das Schlafzimmer, nach hinten das Kinderzimmer, das – aus dem freigeräumten Boden undden an der Wand aufgereihten Notenständern zu schließen – als Probenraum genutzt wurde. Das üblicherweise vorhandene »halbe Zimmer« war der Erweiterung des Badezimmers zum Opfer gefallen, das jetzt mit Badewanne, Dusche, WC und Bidet prunkte, alles blassblau gefliest mit Lilienrelief. Im Badezimmerschränkchen herrschte die übliche Drei-zu-eins-Aufteilung zugunsten der Dame. Er benutzte Einmalrasierer mit zwei Klingen und Aftershave-Gel, sie enthaarte sich fleißig auf alle möglichen Arten und kaufte bei Superdrug ein. Nichts wies darauf hin, dass einer der beiden sich in den esoterischen Künsten versuchte.
Im Schlafzimmer standen beide Einbauschränke weit offen, und eine Spur halb gefalteter Kleidungsstücke zog sich von dort zu zwei Koffern, die aufgeklappt auf dem Bett lagen. Wie eine Krebserkrankung schreitet auch die Trauer bei jedem Menschen unterschiedlich schnell voran, trotzdem erschien es mir ein bisschen früh, dass sie schon jetzt die Sachen ihres geliebten Cyrus wegpackte. Dann entdeckte ich einen Hüftslip, den kein anständiger Jazzer getragen hätte, und begriff, dass Simone ihre eigenen Sachen packte, was mir nicht weniger verdächtig vorkam. Ich horchte, um sicherzugehen, dass sie nicht gerade die Treppe heraufkam, und unternahm eine flüchtige Durchsuchung ihrer Unterwäsche-Schubladen, leider ohne Ergebnis, außer dem vagen Gefühl, höchst unprofessionell an die Sache heranzugehen.
Das Musikzimmer hatte immerhin mehr Charakter. Hier gab es gerahmte Poster von Miles Davis und Art Pepper und Regale voller Noten. Ich hatte es mir für zuletzt aufgehoben, um erst ein Gefühl für das
Sensis illic
, wie Nightingale es nannte (ich sage Hintergrund-
Vestigium
)des Hauses zu bekommen, bevor ich den Ort betrat, der unverkennbar Cyrus Wilkinsons Allerheiligstes war. Kurz durchzuckte mich wieder
Body and Soul
und, vermischt mit Simones Parfüm, der Geruch nach Staub und zersägtem Holz, aber gedämpft und kaum spürbar. Anders als im restlichen Haus gab es hier Bücherregale, auf denen nicht nur Fotos und lächerlich teure Urlaubssouvenirs standen. Meiner Einschätzung nach musste sich jemand, der außerhalb der offiziellen Kanäle versuchte, sich das Zaubern beizubringen, erst einmal durch Massen von okkultem Mist wühlen, bevor er auf wahre
Weitere Kostenlose Bücher