Schwarzer Neckar
jedenfalls hatte Treidler ihn noch nie damit gesehen. Nicht einmal wenn es regnete, was herunterkommen konnte, schlüpfte er in das gelbe Ding. »Die zieht unsereins erst an, wenn der Regen parallel zum Boden kommt«, pflegte er zu sagen. Da er dabei wie immer keinerlei Regung zeigte, wusste niemand so genau, ob er es ernst meinte oder nur Spaß machte.
In der ganzen Dienststelle wurde Petersen ehrfürchtig als »Der Graue« bezeichnet, was neben seiner Verschlossenheit vor allem seinem Äußeren geschuldet sein dürfte. Der Mann wirkte ebenso gepflegt wie kühl. Grundsätzlich trug er einen dunkelblauen Anzug und ein hellblaues Hemd. Er musste einen ganzen Schrank davon besitzen. Über seinen eisblauen Augen hingen daumendicke hellgraue Brauen, die wie angeklebt wirkten. Ein akkurat getrimmter Bart führte von der Oberlippe um den Mund herum bis hinunter zum Kinn und schimmerte im gleichen hellen Grau wie seine kurzen, dichten Bürstenhaare. Im Grunde fehlten Treidlers Vorgesetzten nur drei goldene Streifen an den Ärmeln sowie eine dunkelblaue Schirmmütze, und er könnte als einer der Kapitäne aus der Fernsehserie »Traumschiff« durchgehen.
Auch in seinem Büro herrschte hanseatische Kühle. Es glich mehr dem Ausstellungszimmer eines Möbelhauses als dem Arbeitsplatz eines Kommissariatsleiters. Aktenordner und Bücher standen in Reih und Glied in den Regalen. Zu gern hätte Treidler einmal nachgeschaut, ob es sich nicht um Attrappen handelte. Abgesehen von dem Fischbrötchen auf der Serviette erweckte der wuchtige Schreibtisch inmitten des Zimmers den Eindruck, als ob er nie benutzt würde. Selbst der Füllfederhalter lag parallel neben den Unterlagen, die ebenfalls akkurat aufeinanderlagen. Es gab keinerlei Schnickschnack wie bei den anderen Kollegen – nicht einmal die derzeit obligatorische Weihnachtsdekoration. Nur ein Bild hing an der Wand hinter dem Schreibtisch. Das Gemälde einer einsamen alten Jacht auf dem Meer schien der einzige private Gegenstand in Petersens Büro zu sein. Fast schon neidisch dachte Treidler daran, dass sein Arbeitszimmer bereits wenige Stunden, nachdem er seine Stelle wieder angetreten hatte, unaufgeräumter aussah. Manche der Kartons standen noch jetzt, Monate später, unausgepackt auf dem Boden.
»Hauptkommissar Treidler«, riss ihn Petersens raue und unterkühlte Stimme aus den Gedanken. »Wie sieht es aus in Florheim, kommen Sie klar?«
Treidler nickte und fasste kurz die neusten Ereignisse in dem kleinen Dorf zusammen. Er vergaß weder, die Theorie vom Auftragsmord anzusprechen, noch die Hinweise, die nach Russland zeigten. Melchior jedoch erwähnte er mit keinem Wort.
»Ich will, dass Sie diese grauenvolle Angelegenheit vor Weihnachten aus der Welt schaffen. Kriegen Sie das hin?«
»Vielleicht …« Treidler hob die Schultern und schaute gleichgültig zu Petersen. Dessen willkürlicher Zeitplan interessierte ihn ohnehin nicht.
Petersen erwiderte nichts, doch sein eisiger Blick verriet, dass er etwas zurückhielt.
Treidler ahnte schon, was kommen würde. Die halbe Polizeidirektion tuschelte darüber, dass man ihn nicht allein auf die Menschheit loslassen konnte. Sogar drüben, in der Einsatzzentrale und den Räumen der Schutzpolizei, sprachen sie über ihn, den Psycho, um den man am besten einen großen Bogen machen sollte.
Petersen hüstelte kurz. Treidler weidete sich an der ungewohnten Ratlosigkeit, die der Kriminalrat in dieser Angelegenheit offenbarte. Aber den Gefallen, die Farce abzukürzen, wollte er ihm nicht tun.
Schließlich erklärte Petersen: »Angesichts der Schwere des Verbrechens ist Ihr Urlaub gestrichen und … und Sie arbeiten ab jetzt zu zweit. Bestimmt haben Sie Hauptkommissarin Carina Melchior schon drüben in Florheim kennengelernt.«
»Bestimmt«, wiederholte Treidler.
Petersen suchte immer noch nach der richtigen Einleitung für seine Worte. Schneller, als Treidler erwartet hatte, erklärte er: »Gut, Treidler. Das ist Ihre neue Kollegin. Sie arbeiten ab heute mit ihr zusammen.«
Rums – jetzt war es offiziell. Und obwohl er es im Grunde schon seit Wochen wusste, klang die Ankündigung in diesem Augenblick ernüchternd. Eine neue Partnerin. Auch das noch. Als ob er nicht genug um die Ohren hatte. Vermutlich stand sie ihm bei den Ermittlungen nur im Weg – ein richtig dicker Klotz am Bein.
»Ich kann ganz gut allein arbeiten, denke ich …« Einen letzten Versuch war es wert, sich Melchior vom Leib zu halten. Obwohl der Graue seine
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