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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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den freien Stuhl gegenüber der Frau und blickte sie fragend an. Die Alte nickte ihr zu, ohne jedoch mit dem Essen aufzuhören.
    »Mein Name ist Carina Melchior. Ich bin von der Kriminalpolizei in Rottweil.«
    Wieder nickte die Alte. »Ich bin Edda.«
    »Gut … Edda. Sie wissen, was drüben an der Bushaltestelle geschehen ist?«
    Die Frau nickte erneut, und Melchior fuhr fort: »Haben Sie letzte Nacht etwas bemerkt?«
    »Ich kann jetzt nicht mit Ihnen reden, junge Frau.«
    »Warum?«
    Edda beförderte mit dem Finger einen kleineren Fleischbrocken aus ihrer Nudelsuppe auf den Löffel und schob ihn in den Mund. Genüsslich kaute sie darauf herum. »Ich habe schon Salz in die Suppe getan.«
    Melchior klappte die Kinnlade herunter. Sie setzte an, schluckte, erst dann brachte sie ein heiseres »Warum?« über die Lippen.
    »Salz ist viel zu teuer, um es mit der Suppe kalt werden zu lassen.«
    Melchior rang sichtlich um Fassung.
    »Des isch die alt’ Edda«, hörte Treidler die Stimme des Wirtes hinter sich.
    Er kämpfte innerlich gegen den Biergeruch an, den der Mann verströmte. Es dauerte einen Augenblick, bis er seine Frage formulieren konnte. »Was ist mit ihr?«
    »Die Edda gibt’s, seit ich denka kann. Früher isch sie mit ihrem Mann g’komma. Seit der g’storba isch, kommt sie alle vierzehn Tage alloi hierher. Immer wenn g’schlachtet wird. Dann setzt sie sich, Sommer wie Winter, mit dem gleicha Kleid dort ans Fenster.«
    Treidler linste auf die blutverschmierte Metzgerschürze drüben am Stammtisch.
    »Und heute ist wohl geschlachtet worden.«
    Der Wirt nickte. »Punkt acht steht die Alt’ vor da Tür und wartet, bis mei Frau d’Kesselsupp fertig hätt.« Er zuckte mit den Schultern. »So isch sie halt, d’Edda. Die kennt jeden im Dorf und woiss älles, was bei uns bassiert isch. Sie isch sozusagen d’wandelnde Dorfchronik von Florheim.«
    »So, so – sie weiß alles, was in Florheim passiert ist«, wiederholte Treidler. »Und die drei Männer da drüben, sind das auch Stammgäste?«
    »Klar. Die sitzed jeden Morga do und mached Veschper mit Brezla, Bier und Binokel.«
    »Können Sie mir die Namen nennen?«
    »Ja, natürlich – ich schreib’s Ihnen auf.« Er verschwand hinter seiner Theke und kramte in einer Schublade nach einem Block.
    In der Zwischenzeit kam Melchior mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck zurück.
    »Und – Erfolg gehabt bei Edda?«
    Sie machte eine geringschätzige Handbewegung. »Am besten wir fahren zurück in die Polizeidirektion und überlassen die Frau den Kollegen der Schutzpolizei.«
    »Doch keinen Kaffee?« Treidler blickte seine Kollegin mit einem ironischen Lächeln an.
    Melchior antwortete nicht, sondern trottete mit einem missmutigen Gesichtsausdruck in Richtung der Eingangstür.
    Der Wirt überreichte Treidler einen biergetränkten Zettel mit den drei Namen. »Was isch mit der?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung.« Treidler zuckte mit den Achseln und vermied es, dem alkoholgeschwängerten Atem zu nahe zu kommen. »Danke für die Namen. Und einen schönen Tag noch.«
    »Tja, so send sie halt – Weiber ebba«, entgegnete der Wirt mit todernster Miene und kratzte sich an seinem gewaltigen Bauch.

DREI
    Im Büro von Kriminalrat Petersen roch es nach Fisch. Nicht nur ein wenig, sondern penetrant. Treidler konnte nicht verstehen, wieso sein Vorgesetzter jedes Vorurteil bestätigen musste, das man sich hier, im Süden der Republik, über Fischköpfe erzählte. Der gebürtige Hamburger brachte es tatsächlich fertig, zum zweiten Frühstück ein Fischbrötchen zu verschlingen. Treidler wusste nicht einmal, wo in Rottweil es um diese Uhrzeit Brötchen mit derlei stinkendem Belag zu kaufen gab.
    Und Petersen bediente bereitwillig auch jedes andere Klischee. Zum Beispiel seine Aussprache. Obwohl er bald acht Jahre hier Dienst tat, brachte er es immer noch nicht fertig, einen vernünftigen Zischlaut auszusprechen. Und bereits bei einfachen Nasallauten versagte sein Sprachzentrum völlig. Er redete, als ob seine Zunge an die Zähne stieß, und im Gespräch wirkte er kühl und distanziert. Petersen verzog kaum eine Miene, wenn er sich mit den Kollegen unterhielt.
    Fast schon amüsant dagegen fand Treidler Petersens gelbe Regenjacke, seinen Ostfriesennerz, wie er das Ölzeug liebevoll nannte. Vom Herbst bis ins späte Frühjahr schleppte er sie täglich mit zum Dienst und hängte sie fein säuberlich über einen Kleiderbügel an die Garderobe. Doch er trug die Jacke nie –

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