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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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zurück und schob den Pappkarton wieder nach hinten. Jetzt fehlte nur noch seine Stammrolle mit der Nummer 127/1923. Melchior entdeckte das Dokument in einem der nächsten Kartons. Und die blass gewordene Tinte darauf verkündete Ungeheuerliches.
    ***
    Als kleiner Junge hast du die Wochenenden im Benthaler Kloster geliebt, aber nun fürchtest du sie. Denn am Wochenende haben die Mönche Aufsicht und nicht die Lehrer.
    Jeden Samstagabend beaufsichtigt der dicke Bruder Geronimus das Duschen der Schüler, die noch im Internat sind. Wie aus dem Nichts kriecht schon vormittags eine beklemmende Angst in dir hoch und breitet sich den Tag über weiter aus, bis sie jede Faser deines Körpers eingenommen hat. Am Abend gehst du deinem Martyrium entgegen. Eine dunkle Steintreppe führt hinunter in den Keller, vorbei an stinkenden Klokabinen, zu einem Bereich mit zwei Reihen Waschbecken in der Mitte. Gräuliche Fliesen bedecken Boden und Wände bis hoch zur Decke. Es gibt keine Fenster, und trotz zweier riesenhafter Heizkörper herrscht auch im Sommer nur wenig mehr als Kühlschranktemperatur. Neben dem Waschraum liegt der Umkleideraum für die Duschen. Völlig verwitterte Holzbänke stehen in Reih und Glied vor grünlichen Schränken, deren Türen verschlossen sind. Es gibt weder Haken noch Ablageflächen. Und wenn du beim Ausziehen deine Kleidung oder das Handtuch nicht ständig festhältst, landet alles auf dem nassen, dreckigen Boden. An die Umkleide schließt sich der Duschsaal mit zwei Dutzend Brausen an. Auch in diesem Raum reichen die gräulichen Fliesen bis hoch zur Decke. Durch die Feuchtigkeit löst sich von dort der Putz in großen Fladen ab, vermischt sich mit dem Duschwasser und verstopft die Abflüsse.
    Der Duschsaal ist nur über einen Durchgang zu erreichen, der keine Tür hat. Direkt auf der Schwelle, auf einem roten Plastik-Klappstuhl, sitzt Bruder Geronimus. Seine leuchtend blauen Augen, mit denen er alles um sich herum aufzusaugen scheint, wirst du nie vergessen. Seine enorme Leibesfülle nimmt nahezu den gesamten Türrahmen ein, sodass es unmöglich ist, an ihm vorbeizukommen, ohne ihn dabei zu berühren. Zugleich kann er von dieser Position aus den ganzen Duschsaal überblicken.
    Naiv, wie du bist, denkst du zuerst, dass das alles so sein muss. Schließlich will Geronimus nur, dass niemand Schweinereien im Duschsaal anstellt. Das jedenfalls sagt er immer. Nur seine Reinlichkeitskontrolle kommt dir eigenartig vor. Denn ohne nachzuschauen, ob man sich sauber gewaschen hat, lässt der dicke Mönch niemanden zurück in den Umkleideraum. Mit jedem Mal findest du seine Berührungen unangenehmer. Doch du hast keine Chance, ihnen zu entkommen. Er ist so dick und so stark, dass er nur eine Hand braucht, um dich festzuhalten. Und dann spürst du die dicken Finger seiner anderen Hand zwischen deinen Schenkeln.
    Eines Tages nimmst du allen Mut zusammen. Du schlägst mit der flachen Hand zu und triffst Bruder Geronimus mitten ins Gesicht. Die Anerkennung der anderen im Duschsaal ist dir für einen Moment gewiss. Doch du hättest es besser nicht tun sollen.
    Bruder Geronimus zieht dich hinunter auf seinen Schoß, greift sich den Abspritzschlauch vom Boden und schlägt damit minutenlang auf dein entblößtes Gesäß. Zuerst flehst du ihn an aufzuhören, aber bald schon schreist du wie am Spieß. Schließlich hast du nicht einmal mehr Kraft, um zu schreien und wimmerst leise vor dich hin. Unermüdlich teilt Geronimus weiter Schläge aus. Erst als du blutest, hält er inne und wirft dich auf den Boden. Seit diesem Tag lässt du die Berührungen geschehen. Du schließt die Augen, während du dich an ihm vorbeizwängst, um den Umkleideraum zu erreichen. Und wartest einfach, bis alles vorbei ist.
    Es gibt Tage, an denen fragst du dich, wer dich aus dieser Hölle befreien soll. Es dauert lange, sehr lange, bist du erkennst, dass niemand kommen wird. Und an allem hat nur deine verfluchte Schwester Schuld. Doch es ist zu spät. Du hättest es viel früher tun sollen. Am besten noch, bevor der krabbelnde Quälgeist geboren wurde.

DREIZEHN
    Johann Novak war am 17. Februar 1956 gestorben. So jedenfalls stand es in seiner Stammrolle.
    »Was soll das?«, hörte Treidler Melchiors überraschte Stimme, bevor er den Registereintrag ganz erfasst hatte.
    Er riss seinen Blick von dem Dokument los. »Was schauen Sie mich so an?«, gab er mit einem Schulterzucken zurück. »Mich wundert bei diesem Fall schon lange nichts mehr. Es ist wie bei

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