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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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und stierte auf die Sitzbank im Innenraum. Treidler konnte sich gut vorstellen, was der Frau in diesem Augenblick durch den Kopf ging. Und vermutlich nicht nur ihr. Niemand im Ort würde sich so schnell daran gewöhnen, dass an dieser Stelle eine Leiche gefunden worden war.
    Zwei Querstraßen weiter brachte er den Mercedes vor einem dreistöckigen, ungewöhnlich großen Gebäude zum Stehen. Treidler stieg aus und zögerte einen Moment. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Gemeindeverwaltung von Florheim solch ein Bauwerk für gerade mal achthundert Einwohner benötigte.
    Das Gebäude wirkte wie ein Fremdkörper in der Straße. Es war völlig überdimensioniert, und die zitronengelbe Fassade mit den weißen Fensterfriesen stand in scharfem Kontrast zu den eher schmucklosen Bauernhäusern der näheren Umgebung. Die Aufschrift »Rathaus« oberhalb der mächtigen Holztür ließ jedoch jeden Zweifel verfliegen, ob sie vor dem richtigen Haus standen.
    Sie betraten das Gebäude über einige Marmorstufen und fanden sich in einem unerwartet großen Vorraum wieder. Es roch nach frischer Farbe. Hie und da zeugten Abdeckplanen und Kreppband davon, dass bis vor Kurzem noch Handwerker gearbeitet hatten. Vor dem Treppenhaus zeigten eine Handvoll Schilder in verschiedene Richtungen. Allerdings trug nur eines eine Aufschrift. »Bürgerbüro« stand in weißen Lettern auf braunem Grund, und der Pfeil wies zur ersten Tür im Vorraum.
    An der Tür klebte ein Papierschild. Die hingekritzelten Worte »Bin gleich wieder da« ließen Treidler aufstöhnen.
    »Dann warten wir eben, bis jemand da ist«, schlug Melchior mit einem Achselzucken vor.
    Treidler drückte die Klinke und lächelte: Wider Erwarten ließ sich die Tür öffnen, und er trat ein. Melchior folgte ihm.
    Ein kitschiger Plastikweihnachtsbaum von der Größe einer Topfpflanze blinkte auf dem halbhohen Tresen, der das Zimmer in zwei Bereiche teilte. Einen kleineren Teil für Bürger, die die Dienste der Gemeindeverwaltung in Anspruch nehmen wollten, sowie den größeren mit nur einem Arbeitsplatz vor einer übervollen Regalreihe. Direkt neben dem Schreibtisch aus modernem Ahornholz hingen an bunten Bändern Dutzende rote und weiße Glaskugeln von der Decke. Hinter dem Computerbildschirm saß eine Frau mittleren Alters und löffelte einen Joghurt. Mehr als ein bonbonfarbenes Oberteil konnte Treidler von ihrer Kleidung nicht erkennen. Fast schon geschmacklos empfand er das viel zu auffällig geschminkte Gesicht unter den halblangen blonden Haaren. Am meisten irritierte ihn jedoch das dominante Kirschrot ihrer wulstigen Lippen, das sich an den Fingernägeln wiederholte.
    »Morgen«, grüßte Treidler knapp und trat an den Tresen.
    »Können Sie denn nicht lesen?«, fuhr ihn die Frau mit einem ärgerlichen Gesichtsausdruck an.
    »Doch, aber wir haben es eilig.«
    »Das sagen alle …« Unbeeindruckt tauchte sie den Löffel in den Joghurtbecher.
    »Aber nur wir sind die Polizei.« Treidler hielt seinen Dienstausweis hoch und versuchte sich an einem Lächeln.
    Die Frau ließ augenblicklich den Löffel los, als ob sie sich die Finger daran verbrannt hätte. Mit großen Augen blickte sie zu Treidler. »Ist es … ist es wegen dem Mord?«
    »Möglicherweise«, gab er knapp zurück. »Aber vielleicht kommen Sie erst mal näher. Dann müssen wir nicht so schreien.«
    »Natürlich.« Schnell stellte sie den Joghurt ab. Der Becher kippte um, und der Inhalt ergoss sich auf die Tischplatte. Wie abwesend blickte sie dem Joghurt nach und stand dann auf, ohne sich weiter um ihr Malheur zu kümmern. Etwas zu umständlich zog sie ihr Kleid glatt und kam schließlich mit kurzen Trippelschritten auf die beiden Kommissare zu.
    »Ich bin Hauptkommissar Wolfgang Treidler von der Kriminalpolizei Rottweil«, begann er. »Und das ist meine Kollegin Carina Melchior. Wir –«
    »Welchen Dienstgrad hat Ihre Kollegin?«, unterbrach ihn die Frau und klimperte ein paarmal mit den Augenlidern.
    »Was?« Treidler blickte sie verwirrt an.
    »Sie haben mir nur Ihren Dienstgrad genannt«, gab sie mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck zurück. »Aber nicht den Ihrer Kollegin.«
    »Ich bin Hauptkommissar«, erklärte Melchior.
    »Und wie ist Ihr Name, Frau …«, fragte Treidler.
    »… Markwart. MM. «
    » MM ?« Treidler hob die Augenbrauen.
    » MM – ja. Martina Markwart. Mein Kurzzeichen, wie der Sekt.« Sie kicherte, verstummte jedoch jäh, als sie bemerkte, dass weder Treidler noch

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