Schwarzer Neckar
einer Fata Morgana. Kaum denkt man, der Lösung ein Stück näher gekommen zu sein, stellt sich heraus, dass alle bisherigen Ermittlungsergebnisse nur Trugbilder sind.«
»Hier fehlt der Ort«, rief Melchior aus.
»Welcher Ort?«
»Der Ort, an dem Novak gestorben sein soll. In der Regel wird dies in der Stammrolle neben dem Todesdatum vermerkt. Und hier steht nichts.« Melchior tippte mit dem Zeigefinger auf die leere Zeile unterhalb seines Registereintrages.
Treidler dachte für einen Moment darüber nach, warum der Todesort fehlen könnte. Doch schon allein die Tatsache, dass ihre Leiche vom Montag seit über fünfzig Jahren tot sein sollte, hemmte jeden vernünftigen Gedanken. »Haben Sie noch die Telefonnummer vom Rathaus hier?«
»Wieso?« Melchior hob erstaunt den Kopf.
»Sie können auch gern hoch zu der Wuchtbrumme laufen und sie fragen, warum hier kein Todesort eingetragen ist.« Er verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. »Also, was ist – wissen Sie die Nummer nun oder nicht?«
»Mein Telefon hat eine Wahlwiederholung.«
»Gut. Rufen Sie an.«
»Glauben Sie nicht, dass es besser wäre, wenn Sie sich mal ein eigenes Handy besorgen?«
»Ich habe ein eigenes.«
»Sieht aber nicht so aus. Wo ist es denn?«
»Zu Hause.«
Melchior quittierte seine Antwort mit einem Kopfschütteln. Sie drückte die Taste für die Wahlwiederholung und reichte das Telefon weiter.
»Jetzt, Frau Markwart«, begann Treidler, als am anderen Ende nach dem dritten Klingeln abgehoben wurde. »Wir sind’s, die Kommissare aus Ihrem Keller.« Aus den Augenwinkeln erkannte er, wie sich Melchior das Lachen nur schwer verkneifen konnte.
Aus dem Handy schlug ihm Schweigen entgegen, und er entschloss sich weiterzureden, bevor Martina Markwart ihre Überraschung überwunden hatte. »Wir benötigen Hilfe. Erlaubt es Ihre Zeit, uns hier unten ein paar Fragen zu beantworten?« Treidler interpretierte das Grunzen am anderen Ende der Leitung als ein »Ja« und beendete das Gespräch, ehe sie es sich anders überlegen konnte.
Es dauerte nicht lange, bis er auf der Treppe und anschließend im Gang Schritte vernahm. Wenig später stand Markwart mit unübersehbar gereiztem Gesichtsausdruck in der Tür. Nur ihr schneller Atem hielt sie davon ab, die beiden Kommissare sofort anzufahren.
»Danke, dass Sie nochmals Ihre kostbare Zeit für uns opfern.« Mit einer nun seinerseits aufgesetzten Unschuldsmiene kam Treidler allen Vorwürfen Markwarts zuvor. »Aber wir können uns keinen Reim darauf machen, warum bei dieser Eintragung hier die Angabe des Todesortes fehlt.«
»Das hätten Sie mich auch am Telefon fragen können«, polterte sie, nachdem ihr Blick ein paarmal zwischen ihm, Melchior und der Stammrolle hin- und hergewandert war.
»Ja, hätte ich«, entgegnete Treidler mit liebenswürdiger Stimme und fügte dann mit scharfem Tonfall hinzu: »Hab ich aber nicht. Also, wie sieht es aus? Warum steht hier kein Todesort?«
Markwart schrak zusammen. »Man wird es damals halt nicht gewusst haben.«
»Man wird es damals halt nicht gewusst haben?«, wiederholte Treidler. »Geht das auch etwas genauer?« Nicht mehr lange, und er würde der Frau an den Hals springen und die Antworten aus ihr herauswürgen.
»Wenn Sie darauf bestehen, Herr Hauptkommissar.« Sie hob die Achseln. »Die Angaben zum Tod einer Person stammen in der Regel aus dem Totenschein. Sofern dort nicht steht, wo derjenige verstorben ist, fehlt dies natürlich auch in seiner Stammrolle.«
»Natürlich«, kommentierte Treidler spöttisch.
»Und das ist im Grunde nur dann der Fall, wenn die Person für tot erklärt wurde, obwohl es keine Leiche gibt.«
»Für tot erklärt?«, echote Melchior. »Das kann doch frühestens geschehen, wenn jemand schon fünf Jahre vermisst oder verschollen war.«
»Zehn Jahre«, verbesserte Markwart. »Sie müssen wissen, eine offizielle Todeserklärung ist Voraussetzung für viele Amtshandlungen und, ganz nebenbei, auch für einige Versicherungsleistungen. Wann die Todeserklärung ausgestellt wird, hängt ausschließlich von den Umständen ab, unter denen die Person verschwand. Ein Verschollener, mit dem wir es hier gewiss zu tun haben, kann erst nach zehn Jahren für tot erklärt werden.« Sie machte eine kleine Pause und fragte dann: »Welches Todesdatum ist denn in seiner Stammrolle eingetragen?«
»Irgendwann im Februar 1956«, erwiderte Treidler.
»Dann gilt die Person seit 1945 oder früher als vermisst. Genauer kann man das nicht sagen,
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