Schwarzer Neckar
Melchior auf die Anspielung reagierten.
»Gut, Frau Markwart …«
»Sie ist auch Hauptkommissar?«, unterbrach Markwart ihn ein weiteres Mal und schaute zwischen den beiden Kommissaren hin und her. »Und wer hat das Sagen?«
»Ich«, gab Treidler knapp zurück und setzte einen finsteren Blick auf. Wenn das so weiterging, würde ihn die Frau noch um den Verstand bringen.
»Und ich auch.« Melchior verzog den Mund zu einem Lächeln.
»Sie natürlich ein bisschen mehr«, fügte Treidler mit einem Seitenblick auf Melchior hinzu. Dann schaute er wieder zu Markwart. »Haben wir jetzt alles geklärt und können fortfahren? Oder wollen Sie noch den Ausweis meiner Kollegin sehen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Gut. Dann steht unserer Anfrage ja nichts mehr im Wege.« Treidler musterte die Frau kritisch. Als er den Eindruck hatte, dass sie ihn nicht nochmals unterbrechen würde, fuhr er fort: »Wir wollen einen Auszug aus den Geburtsregistern. Welche Angaben benötigen Sie dafür?«
»Geburtsjahr und Name«, erklärte Markwart in geschäftsmäßigem Tonfall.
»Novak, Johann Novak. Der Mann ist am 12. Dezember 1923 geboren.«
»Hier in Florheim?«
»Nein, in Buxtehude!«, rief Treidler aus. »Natürlich hier in Florheim. Wären wir sonst wohl hier?«
»Das ist kein Grund, so zu schreien«, entgegnete sie in beleidigtem Tonfall.
»Nein, natürlich nicht«, gab Treidler zurück. Gerade noch konnte er sich die Frage verkneifen, ob sie mit Geburtsnamen Schober hieß. Mit Ausnahme der Körperfülle erinnerte ihn so gut wie alles an die Schreibkraft aus dem Sekretariat.
»Welches Jahr sagten Sie noch mal?«, fragte Markwart ohne ihn anzuschauen.
»Neun-zehn-hun-dert-drei-und-zwan…«, antwortete Melchior.
»Die sind unten im Archiv«, kam Markwarts Antwort wie aus der Pistole geschossen.
Treidler atmete hörbar aus und wollte schon einen bissigen Kommentar abgeben. Melchior kam ihm zuvor. »Dann lassen Sie uns doch einfach zusammen ins Archiv gehen.«
Die beiden folgten Martina Markwart durch den Vorraum und über das riesige Treppenhaus ins Untergeschoss. Treidler konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass entweder die Handwerker noch nicht bis hierher gekommen waren, oder die Gemeinde nicht über genügend finanzielle Mittel verfügte, um auch dieses Stockwerk zu renovieren. Der Fußboden bestand aus blankem Betonestrich, und an vielen Stellen bröckelte der Putz von den Wänden. Zwei nackte Glühbirnen an der ebenfalls unverputzten Decke verströmten ein schummriges Licht, das kaum fünf Meter weit reichte. Rechts und links gingen Türen ab, die allesamt eine unansehnliche graue Farbschicht bedeckte. Nur wenige davon sahen aus, als wären sie die letzten Monate geöffnet worden.
Als Treidler schon nicht mehr daran glaubte, das Archiv hier unten zu finden, drückte Marktwart die vorletzte Tür auf der rechten Seite auf. Modriger Geruch schlug ihnen entgegen. Sie tastete nach dem Lichtschalter, und sogleich blinzelte eine Reihe Neonröhren auf, die alles und jeden in ein gleißendes Licht tauchte. Nach der schummrigen Beleuchtung im Flur war die Helligkeit fast unerträglich. Treidler benötigte einige Momente, um den zehn mal zehn Meter großen Raum vollständig zu erfassen.
Neben einem kleineren Tisch an der Tür erstreckten sich etwa ein Dutzend Regalreihen, in deren Fächern sich zahllose Ordner und Pappkartons türmten. Staub und Schmutz bedeckten den Fußboden, der wie im Flur aus blankem Beton bestand. Als Treidler genauer hinsah, konnte er zwischen den Regalreihen grünliche Stockflecke auf den spärlich bemalten Wänden ausmachen. Zweifelsohne verursachte der Schimmel den penetranten Modergeruch. Zu dem Mief gesellte sich eine eisige Kälte. Der Kellerraum wirkte abstoßend. Niemand würde sich hier freiwillig länger als notwendig aufhalten.
»Sie müssen wissen, wir haben nicht genügend Geld, um hier unten ein Klimagerät zu installieren. Obwohl es die Landesvorschrift verlangt.« Markwart schien der Zustand des Archivs peinlich.
»Frau Markwart«, begann Melchior, »uns interessiert Ihre Landesvorschrift nicht im Geringsten. Von mir aus können alle Ihre Kellerräume so aussehen wie dieser hier. Wir benötigen nur den Registerauszug eines Johann Novak aus dem Jahre 1923.«
»Das ist nicht so einfach.«
»Das war ja nicht anders zu erwarten.« Treidler schüttelte missmutig den Kopf.
Markwart blickte ihn vorwurfsvoll an, konnte sich aber offenbar gerade noch einen Kommentar
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