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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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die Frist beginnt erst mit dem Jahresende. Daran schließt sich noch eine mindestens sechswöchige Aufgebotsfrist an.« Sie setzte ab und schien kurz nachzudenken. »Wenn Sie mich fragen, handelt es sich um einen Soldaten, der nicht aus dem Krieg zurückgekommen ist. Seine Angehörigen haben ihn zehn Jahre später für tot erklären lassen. Da gibt es bei uns einige Fälle.« Sie reckte das Kinn. »War’s das?«
    Treidler nickte, und Markwart entschwand so schnell, wie sie gekommen war.
    »Für tot erklärt«, murmelte er vor sich hin.
    »Und falls er kein Soldat war?«, fragte Melchior.
    »Kein Soldat?«
    »Ich meine, wenn er aus einem anderen Grund vermisst wurde. Nicht jeder, der um 1945 vermisst wurde, muss zwingend auf den Krieg zurückzuführen sein.«
    »Und wie wollen Sie das herausfinden?«
    Melchior hob die Achseln. »Das weiß ich selbst noch nicht.«
    »Aber ich vielleicht«, rief Treidler aus. »Seit 1945 oder früher, hat die Markwart gesagt, sei er vermisst worden?«
    Melchior nickte. »Auf was wollen Sie hinaus?«
    »Wenn Novak erst nach Kriegsende als vermisst gemeldet wurde, hätten wir eine reelle Chance, Aufzeichnungen darüber zu finden.«
    »Wer soll die damals verfasst haben?«
    »Die französischen Truppen haben irgendwann im April 1945 die Gegend um Rottweil besetzt.« Er fuhr sich über das unrasierte Kinn. »Florheim gehörte zur französischen Besatzungszone. Und die Franzosen haben in jedem noch so winzigen Dorf eine kleine Einheit Militärpolizei als Ordnungshüter zurückgelassen.«
    »Und die haben Berichte geschrieben«, vervollständigte Melchior seinen Gedanken.
    »Richtig«, sagte Treidler. »Allerdings könnten die Franzosen ihre Papiere genauso gut mitgenommen, vernichtet oder nach Freudenstadt gebracht haben. Dort war damals der Sitz der französischen Militärregierung.«
    Melchior begann zu schmunzeln.
    »Was ist daran so lustig?«, fragte Treidler.
    »Vielleicht nichts. Aber ich habe vorhin schon französische Dokumente gesehen.«
    »Wo?«
    »Da vorne in den Pappkartons der letzten Regalreihe.«
    Treidler rieb sich die Hände. »Dann mal los, Frau Kollegin. Am besten, wir beginnen mit genau diesen Kartons. Wenn es bei Johann Novaks Todeserklärung schon keine Leiche gab, finden wir vielleicht eine Spur von ihm in den Hinterlassenschaften der französischen Militärpolizei.«
    »Da gibt es nur ein kleines Problem«, sagte Melchior mit zerknirschter Miene.
    »Welches?«
    »Ich kann nur ein paar Worte Französisch.«
    »Das macht nichts«, entgegnete Treidler und lächelte. »Sie sind für das Russische zuständig – ich für das Französische. Mal schauen, was ich nach neun Jahren Schulfranzösisch noch so draufhabe.«
    Freilich dauerte es eine kleine Ewigkeit, bis Treidler und Melchior mit dem Ablagesystem der französischen Militärpolizei zurechtkamen. Sie mussten sich durch eingerissene Unterlagen wälzen, deren einzige Daseinsberechtigung das Konservieren von Staub zu sein schien. Die ausgebleichte Schrift auf dem vergilbten Papier zu entziffern, stellte Treidler vor eine ungleich größere Herausforderung als die Übersetzung der französischen Wörter. Immerhin hatten die Militärpolizisten eine Schreibmaschine mit lateinischen Buchstaben benutzt. So entfiel zumindest das leidige Rätseln um die altdeutschen Lettern.
    Für das Jahr 1945 förderten sie schließlich zwei oder drei Dutzend Aktenhefter zutage, deren frühester Eintrag tatsächlich aus dem April stammte. Meist befassten sich die Papiere mit der Gefangennahme versprengter Wehrmachtssoldaten oder lokaler Nazi-Größen sowie Waffenfunden.
    Als Treidler schon nicht mehr daran glaubte, etwas zu finden, das sie weiterbringen könnte, fielen ihm zwei fast identische Dokumente auf. Im ersten Augenblick dachte er, dass es sich um ein Original mit zugehörigem Durchschlag handelte. Dann erkannte er, dass sich das Datum auf den Papieren unterschied. Aber es waren die Worte »pièce de monnaie en argent«, die ihn schließlich davon überzeugten, dass die Berichte mit ihrem Fall in Verbindung standen.
    Er rief Melchior zu sich und fasste den Inhalt, so gut er konnte, für sie zusammen. »Hier steht, dass am 12. und einen Tag später, am 13. Juli, zwei junge Männer aus Florheim tot aufgefunden wurden: Manfred Kopfler und Egon Barreis. Beides Zivilisten, und beide kamen durch einen Kopfschuss zu Tode.« Er konnte förmlich sehen, wie Melchior versuchte, die Informationen einzuordnen. »Interessant ist allerdings, dass

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