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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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er aus den Augenwinkeln, dass Melchior in einer dunkelblauen Plastiktüte kramte. Darauf prangte in goldenen Lettern ein bekanntes Modelabel, das er schon allein wegen der hohen Preise mied.
    »Was haben Sie da?«, fragte er und versuchte, einen Blick auf den Inhalt zu erhaschen. Er konnte sich nicht daran erinnern, die Tüte gesehen zu haben, als sie vorhin ins Auto gestiegen war.
    Statt einer Antwort förderte Melchior ein Paar dunkelbraune Wildlederstiefel zutage.
    »Sind die neu?« Treidler schaute ihr zu, wie sie die Stiefel hin und her drehte und sie dabei kritisch beäugte.
    »Wie finden Sie die?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ehrlich gesagt, sind mir Ihre Schuhe herzlich egal. Hauptsache, Sie sind bald mit dem Anziehen fertig.«
    »Hab ich nicht anders erwartet.« Melchior öffnete die Schnürsenkel ihrer Halbschuhe und zog sie aus. »Wissen Sie eigentlich, warum Pandabären Handstand machen, wenn sie pinkeln?«
    »Nein.« Treidler warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
    »Aber ich. Ich hab’s nachgeschlagen …«, fuhr sie fort und zog den ersten Stiefel über.
    »Und?«
    »Sie machen sich damit größer, als sie sind.«
    »Ach ja?«, gab er zurück.
    »Das ist so ein Brunftritual …«
    »Was Sie nicht sagen …« Betont gelangweilt inspizierte er seine Fingernägel.
    »… bei männlichen Tieren.«
    Treidler verzog die Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. Immerhin war er es gewesen, der zuerst von pinkelnden Pandabären im Handstand erzählt hatte.
    Inzwischen hatte Melchior auch ihren zweiten Stiefel zugeschnürt. Sie strich sich eine widerspenstige Strähne hinter das Ohr und lächelte ihn zuckersüß an. »Ich bin dann so weit.«
    Sie stiegen aus, nicht ohne dass Treidler dies mit einem launischen »Endlich« kommentierte. Er stapfte im knöcheltiefen Schnee voraus, während Melchior dicht hinter ihm folgte. Aus den Augenwinkeln erkannte er, dass sie stets darauf achtete, in seine Fußspuren zu treten.
    An der Haustür gab es keine Klingel. Treidler machte sich mit der Faust bemerkbar, zuerst vorsichtig, dann – als Dachlawinen ausblieben – um einiges kräftiger. Obwohl das Türblatt im Rahmen wackelte und einen unüberhörbaren Krach verursachte, kam keine Antwort. »Hallo, ist jemand zu Hause?«, rief er schließlich und hämmerte erneut mit den Fäusten auf die Tür ein.
    »Wer isch do?«, krächzte die Stimme eines älteren Mannes aus dem Innern.
    »Kriminalpolizei Rottweil«, kam Melchior Treidler zuvor. »Bitte öffnen Sie die Tür. Wir müssen etwas mit Ihnen bereden.«
    »An Scheißdregg werd e!«, schnarrte es durch die verschlossene Tür.
    »Was?« Melchior benötigte einen Moment, um ihre Verwirrung zu überwinden. »Falls Sie uns nicht die Tür öffnen, müssen wir Sie vorladen, Herr Novak.«
    »Ganged zom Deifl!« In der Stimme schwang mehr Sturheit denn Gleichgültigkeit mit.
    »Was hat er gesagt?« Melchior blickte Treidler völlig perplex an.
    »So was Ähnliches wie der Russe in Stuttgart.«
    »Ich glaube, der Mann hat einige Vorbehalte gegen uns.«
    »Was Sie nicht sagen.« Treidler schüttelte den Kopf und fluchte leise vor sich hin. Richtung Tür brüllte er dann: »Verflucht noch mal, sind Sie taub? Hier ist die Polizei aus Rottweil. Und wenn Sie die Tür nicht in zehn Sekunden aufmachen, trete ich sie ein. Ist das bei Ihnen angekommen?«
    Erneut herrschte absolute Stille. Treidler rechnete schon damit, dass seine Drohung keine Wirkung zeigte, als unerwartet ein leises Klappern aus dem Haus drang. Dann schlurften Schritte über Holzdielen und jemand machte sich am Schloss zu schaffen. Einen Moment später ging die Tür auf. Sogleich schlug Treidler der Geruch von Alter und Krankheit entgegen. Es roch nach Medizin, Desinfektionsmitteln und Kräutern, die er nicht einordnen konnte.
    Er blickte in das von Runzeln und Falten übersäte Gesicht eines Mannes um die achtzig, dessen Kinn und Nase weit hervorstanden. Zwei hellgraue Augen, die tief in den Höhlen lagen, musterten ihn geringschätzig. Nur wenige graue Strähnen bedeckten die Halbglatze des Mannes. Wie einzelne Bündel hing der Rest seiner Haare auf beiden Seiten bis fast zur Schulter. Anton Novak trug über seinem braun-beigefarbenen Rollkragenpullover voll heller Tierhaare einen dunkelblauen Kittel. Flecken in allen Formen und Farben zeugten davon, dass er die Schürze schon seit Tagen tragen musste. Nahezu übergangslos pflanzten sich einige hellgraue Dreckspritzer auf der schwarzen Arbeitshose fort, die er darunter

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