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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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es aus ihm heraus. Er spürte, dass er kurz davor war, die Beherrschung zu verlieren. Das Mineralwasser in den Flaschen schäumte mit jeder seiner wütenden Handbewegungen weiter auf.
    »Ich halte Sie nicht für den Mörder Ihrer Frau. Und deswegen stelle ich meine Ermittlungen gegen Sie ein. Genau das habe ich meinem Chef gerade gesagt.«
    »… stelle ich meine Ermittlungen gegen Sie ein …«, wiederholte er. Er ließ die Wasserflaschen fallen. Mit einem lauten Knall schlugen sie auf dem Fußboden auf und kullerten umher. »Muss ich mich jetzt dafür bei Ihnen bedanken?«
    »Nein.«
    »Sie arbeiten für die Interne?« Treidler versuchte, seine Stimme ruhig zu halten, doch es gelang ihm nicht. Erst allmählich begriff er die ganze Bedeutung ihrer Rechtfertigung. »Und ich bin das beschissene Ziel Ihres … Ihres Schnüffelvereins.«
    Statt etwas darauf zu erwidern, fingerte Melchior nervös an ihrem Telefon herum und schob es schließlich in die Hosentasche.
    »Wie weit gehen Sie für Ihre Ermittlungen?« Er spuckte ihr die Worte förmlich ins Gesicht. »Steigen Sie dafür auch mit der Zielperson ins Bett? Dann hätte ich wohl was verpasst …«
    »Sie sind ein verfluchtes Arschloch, Treidler. Sie haben doch keine Ahnung, wie das läuft.«
    »Ich hab keine Ahnung?« Treidler stieß ein bitteres Lachen aus. »Nein, Sie haben keine Ahnung. Es mag zwar schwer sein, mit mir auszukommen. Aber es ist für mich auch keine einfache Zeit. Doch Sie, Sie müssen das nicht tun. Sie haben etwas, das ich nicht habe, nämlich eine Wahl.«
    »Nein, Treidler, das habe ich nicht. Ich habe keine Wahl – noch nie gehabt.«
    »Das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, mit den Gefühlen Ihrer Mitmenschen zu spielen. Es ist einfach widerlich, seine Kollegen zu bespitzeln. Aber vermutlich ist das für Sie ja selbstverständlich.«
    »Was soll das heißen?«
    »Drüben in der DDR war so was bestimmt an der Tagesordnung.«
    Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Ihre Schultern sanken zusammen. Ein unterdrücktes Schluchzen war zu hören, und irgendwie tat ihm Melchior plötzlich leid.
    Sie ist eine verfluchte Schnüfflerin. Sie wird dich weiter reinlegen. Du musst sie loswerden. Je früher, desto besser. »Ich glaube, es ist besser, Sie gehen jetzt«, sagte er leise.
    Melchior reagierte nicht.
    »Gehen Sie jetzt«, forderte Treidler lauter und zeigte zur Wohnzimmertür.
    Wortlos stand sie auf und zog ihren Mantel von der Sessellehne. Sie hielt einen Moment inne und suchte seinen Blick. Es schien ihm, als ob sie auf eine Reaktion hoffte. Doch wie das schäumende Wasser in den Plastikflaschen hatte auch sein Zorn kaum nachgelassen. Er presste die Lippen aufeinander und wandte seinen Kopf ab. Als er Sekunden später wieder zu dem Sessel schaute, war sie verschwunden. Es herrschte Stille, fast vollkommene Stille. Nur die Plastikflaschen auf dem Fußboden schwankten noch immer im Takt des aufgewühlten Mineralwassers.
    Sein Körper schrie förmlich nach Alkohol. Treidler suchte die Küche ab und fand eine angetrunkene Wodkaflasche. Er drehte den Deckel auf und ließ sich auf die Couch fallen. Obwohl Melchior schon Minuten zuvor gegangen war, lag noch der zarte Duft nach Orangenblüten in der Luft. Er schloss die Augen und ließ das vage Gefühl ihrer Nähe auf sich einwirken. Erst dann nahm er einen tiefen Schluck. Sofort breitete sich der scharfe Geschmack des Wodkas in seiner Kehle aus und verdrängte den letzten Rest ihres Geruches.
    Er schaute auf. Sein altertümlicher Kassettenrekorder stand immer noch auf dem Wohnzimmertisch. Der klobige schwarze Kasten hatte ihn die halbe Jugend und noch viele Jahre danach begleitet. Zuerst für Radioaufnahmen, später für das Überspielen von Langspielplatten. Wie viel Zeit war seither vergangen? Zwanzig Jahre? Es kam ihm vor wie eine halbe Ewigkeit. Er besaß Dutzende von Kassetten wie diese hier – AC/DC . Überlebte Musik tatsächlich so viele Jahre auf einem Band? Er drückte die Play-Taste, doch sie ließ sich nicht hinunterdrücken. Erst jetzt bemerkte er, dass der rote Aufnahmeknopf nicht vollständig herausgesprungen war. Offensichtlich hatte das Drücken der Stopptaste vorhin die Arretierung nicht ganz gelöst, und seither nahm das Gerät auf.
    Treidler drückte wahllos mehrere Tasten gleichzeitig, bis der Aufnahmeknopf mit einem lauten Klicken heraussprang. Er spulte die Kassette bis zum Anfang zurück und startete das Gerät. Zuerst hörte er seine eigene Stimme, wie er Melchior bat, die

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