Schwarzer Neckar
Datei auf ihrem Mobiltelefon abzuspielen. Ein paarmal unterbrach Gekicher die Aufzeichnung. Schließlich drang das Ventilgeräusch aus den Lautsprechern. Dann folgte Stühlerücken, Schritte auf Teppich und das Öffnen der Tür. Das musste der Augenblick gewesen sein, als er das Zimmer verlassen hatte, um im Keller das Mineralwasser zu holen.
Einige Sekunden später erklang das neumodische Klingeln von Melchiors Mobiltelefon, das mit jedem Mal lauter wurde.
Grußlos, jedoch mit der frostigen Feststellung: »Das ist ein denkbar schlechter Zeitpunkt«, hatte sie das Telefongespräch nach dem fünften Rufton entgegengenommen. Es folgte eine kurze Pause, der sich drei Verneinungen anschlossen, wovon jede ungehaltener klang als die vorhergehende. Die anschließende Pause dauerte wesentlich länger, bis Melchior sagte: »Nein, die Ermittlungen sind für mich hiermit beendet.« Sogar noch auf der Aufnahme bemerkte Treidler, dass ihr die Aussage nicht leichtgefallen sein konnte. Dennoch wiederholte sie mit fester Stimme: »Nein, es gibt nichts mehr zu ermitteln, begreifen Sie doch endlich.«
Pause.
»Lassen Sie endlich meine Vergangenheit aus dem Spiel. Das ist über zwanzig Jahre her.«
Pause.
»Bald kommt der Tag, an dem sich niemand mehr dafür interessiert. In diesem Fall haben Sie nichts mehr gegen mich in der Hand. Aber vielleicht habe ich dann etwas …«
Pause.
»Tun Sie …«
Pause.
»Ja, tun Sie einfach, was Sie nicht lassen können. Auch ein zweiter Ermittler wird nichts anderes herausfinden. Er ist sauber.«
Es folgte der Teil des Gespräches, den Treidler schon von der Tür aus mitbekommen hatte. Er schaltete den Rekorder ab.
Zurück blieb das merkwürdige Gefühl, eine Woche lang von der eigenen Kollegin bespitzelt und belauscht worden zu sein. Trotz allem, Melchiors Aussage von vorhin hatte der Wahrheit entsprochen. Sie sollte ihn des Mordes an seiner Frau überführen, hielt ihn aber inzwischen ganz offensichtlich für unschuldig. Es war ein schwacher Trost. Zumal es jemanden geben musste, der die Ermittlungen gegen ihn veranlasst und die Geschichte mit den unterschlagenen Beweismitteln in Umlauf gebracht hatte. Und Treidler ahnte auch schon, wer.
Gleichzeitig nagte ein anderes Gefühl an ihm, das er nicht mehr loswurde: Offenbar spitzelte seine neue Kollegin nicht freiwillig. Und das war es, was Melchior gemeint haben musste, als sie sagte, sie habe keine Wahl.
SIEBZEHN
Freitag, 23. Dezember
Ein unbeschreiblicher Krach riss Treidler aus dem Schlaf. Er wollte die Augen öffnen und die Lärmquelle ausfindig machen. Gleißende Helligkeit sorgte dafür, dass es ihm nicht gelang. Er kniff die Lider zusammen und bedeckte sie mit der Hand. Im nächsten Moment begannen hämmernde Kopfschmerzen, und der faule Gestank von Alkohol drang in seine Nase. Er wusste nicht, wo er sich befand, und mit geschlossenen Augen konnte er es auch nicht in Erfahrung bringen. Aus schmalen Sehschlitzen erfasste er vier schwache Leuchtziffern: null neun null sechs.
Der Schmerz auf seiner Netzhaut ließ nach. Obwohl das Hämmern im Kopf noch weiter zunahm, begannen die ersten Denkprozesse abzulaufen: Leuchtziffern, Uhr, Radiowecker, Schlafzimmer. Er holte aus und schlug mit voller Wucht neben sich. Mit einem lauten Poltern fiel der Radiowecker vom Nachttisch. Schlagartig hörte der Krach auf und machte den Geräuschen der Straße Platz, die nur gedämpft an sein Ohr drangen.
Vollkommen bekleidet mit Jeans und T-Shirt lag er auf dem Bett. Selbst die Schuhe trug er noch. Erneut schloss er die Augen und versuchte, durch kräftiges Massieren der Stirn die Kopfschmerzen zu vertreiben. Es half nicht. Dagegen förderte sein Gehirn jetzt die ersten Erinnerungsfetzen an den gestrigen Abend zutage.
Melchior war nicht als seine neue Partnerin nach Rottweil versetzt worden, sondern um ihn zu bespitzeln. Sie wollten ihm immer noch den Mord an seiner Frau anhängen. Sogar Beweismittel sollte er unterschlagen haben. Genau das hatte Winkler gestern schon am Kaffeeautomaten behauptet. Treidler brauchte nur noch eins und eins zusammenzuzählen, um ihn als Quelle dieser Unterstellung zu identifizieren. Fraglos setzte der Mann alles daran, ihn für immer loszuwerden. Doch so schnell gab er nicht auf. Dieser geschniegelte Möchtegern-Kommissariatsleiter würde seinen Unmut bald zu spüren bekommen. Und was danach kam, interessierte Treidler so wenig wie ein Haufen Kuhscheiße auf einer Florheimer Weide.
Verflucht – Novaks Beerdigung. Ihm
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