Schwarzer Neckar
Melchior vorzuspielen, kam ihm beinahe vor wie Verrat an seiner toten Frau.
Melchior schien seine Unentschlossenheit zu bemerken. »Sie müssen nicht, wenn Sie nicht wollen.«
»Doch, doch. Es ist schon in Ordnung. Der ganze Gerichtsaal hat es damals gehört.«
Treidler stand auf und schaltete den CD -Spieler im Wohnzimmerregal ein. Noch immer lag Amstetters Mini- CD im Gerät.
Erneut zögerte er einen Moment, startete dann aber die Aufnahme. Sofort nahm ihn wieder Lisas hysterischer Tonfall gefangen, und er spürte förmlich ihre Todesangst. Ohne sich zu rühren wartete er, bis die Stelle kam, an der Lisa nach ihrer Adresse gefragt wurde. Er drückte auf die Stopp-Taste. »Hören Sie genau hin und achten Sie auf das Hintergrundgeräusch, während sie die 8, die Hausnummer nennt. Es klingt nur für einen Moment nach.«
Er startete die Aufnahme wieder. Für einen winzigen Augenblick erklang ein leises Zischen, das sich anhörte, als ob weit entfernt Luft ausströmte. Doch die Ähnlichkeit mit dem Ventilgeräusch der Sauerstoffflasche war unüberhörbar.
»Und, haben Sie es erkannt?« Treidler stoppte den CD -Spieler.
»Ja.« Melchior schob sich nach vorne auf die Sesselkante. »Das ist ziemlich eindeutig. Aber sind da nicht zwei verschiedene Geräusche zu hören?«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich weiß nicht recht. Das erste Zischen ist klar. Es ist das Ventil einer Gasflasche, die abgedreht wird. Aber ganz kurz war da noch ein anderer Zischlaut. Fast so, als ob jemand ausatmet, nur heller.«
Treidler startete die Aufnahme erneut. Melchior hatte richtig gehört. Sobald er wusste, worauf er achten sollte, konnte auch Treidler zwei verschiedene Geräusche heraushören. »Sie haben recht. Es ist ein menschliches Geräusch, ein kurzes Ausatmen oder Stöhnen.«
»Eher ein Piepsen wie bei Comic-Figuren. Die reden doch oft mit so hohen Stimmen.«
Er wiegte ein paarmal den Kopf hin und her. »Sie meinen so etwas wie Mickymaus-Stimmen?«
Melchior zuckte mit den Achseln. »Vermutlich nennt man das so.«
»Morgen gehe ich noch mal zu Amstetter und frage ihn, ob er die Geräusche weiter isolieren kann.«
»Hat er Ihnen die ganzen Unterlagen zu dem Fall besorgt?«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das beantworten sollte.« Treidler hob unsicher die Schultern.
Melchior winkte ab. »Er kann die Datei von meinem Telefon haben. Sobald er die Geräusche isoliert hat, ist es relativ einfach, einen Frequenzvergleich anzustellen. Ich maile sie ihm morgen früh gleich zu.«
»Zumailen?« Treidler schaute auf. »Warum nicht? Allerdings möchte ich noch eine Kopie für mich machen. Am besten nehme ich das Geräusch mit dem Mikrofon von Ihrem Mobiltelefon ab. Mein alter Kassettenrekorder sollte das noch hinbekommen.«
»Haben Sie kein Kabel, um die Aufnahme direkt auf den Computer zu überspielen?« Sie drehte das Gerät, sodass er den winzigen Anschluss erkennen konnte.
Treidler trat neben Melchior und bückte sich vor, um die winzige Buchse zu begutachten. Mit einem Mal war er ihr so nah, dass er erschrak. Er schloss die Augen und genoss für ein paar Atemzüge den leichten Duft ihrer Haare nach Orangenblüte.
Sie räusperte sich verlegen und fragte: »Kann ich etwas zu trinken haben?«
»Natürlich.« Schnell richtete Treidler sich auf. »Was wollen Sie? Ich habe Bier, Wein …«
»Und Wodka«, warf Melchior ein und deutete auf den Boden, wo unter der Couch der Hals seiner Schnapsflasche hervorragte.
»Die muss ich wohl beim Aufräumen vergessen haben. Sie ist leer.« Er spürte, wie sein Gesicht heiß wurde.
»Wie sieht es mit ganz normalem Mineralwasser aus? Das hat keine Kalorien.«
»Keine Kalorien.« Treidler schmunzelte. »Darauf hätte ich selbst kommen können.«
»Und? Haben Sie welches?«
»Im Keller. Ich mache zuerst die Aufnahme mit dem Rekorder und besorge Ihnen anschließend das Mineralwasser. Einverstanden?«
»Klar.« Melchior nickte.
Treidler kramte nach einer Kassette und stellte das Gerät samt Mikrofon auf den Couchtisch. »Wenn Sie so weit sind, halten Sie bitte das Mikrofon hier direkt vor Ihren Lautsprecher am Telefon. Ich starte dann die Aufnahme. Hoffen wir, dass die Kiste noch funktioniert.«
»Wieso komme ich mir plötzlich vor wie in den achtziger Jahren? Jetzt fehlt nur noch, dass auf dieser Kassette Discomusik ist.«
»Ich habe nie Discomusik gehört. Das war nur für die Mädels.«
»Verstehe, Sie waren bestimmt einer der harten Jungs. So mit Rockerjacke und langen
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