Schwarzer Nerz auf zarter Haut
Toilettenfrauen sprangen hinzu, hoben es auf und setzten es auf einen Stuhl. Andere Damen bemühten sich um die Taumelnde, hielten ihr Kölnisch Wasser unter die Nase, rieben ihre Stirn mit Parfüm ein, steckten ihr die Pulse in kaltes Wasser. Das dauerte ungefähr sieben Minuten, dann war die kleine Zofe wieder soweit, daß sie schwach lächeln konnte und mit zitternden Beinchen aufstand.
»O danke, danke …«, sagte sie. »Sie sind so nett zu mir, meine Damen. O danke, es geht schon …«
»Haben Sie das öfters?« fragte eine dicke Dame mit vielen Pleureusen. »Mir scheint, Sie sind etwas blutarm, mein Fräulein.«
»O nein, nein.« Die Kleine lächelte rundum, zupfte ihr Kleidchen zurecht und ordnete ihr Haar im Spiegel. »Mir wurde auf einmal so schwindelig. Das viele Tanzen … ich hatte einen tollen Tänzer, müssen Sie wissen.«
Die anderen Damen nickten, steckten ihre Fläschchen ein und stellten sich wieder an den Kabinen an.
Da erst wurde bemerkt, daß das Kuvert verschwunden war. Die Handtuchablage war leer. Verzweifelt rannten die beiden Toilettenfrauen herum – sie waren auf einen ganz einfachen, aber immer wirksamen Trick hereingefallen.
Im Hamburg-Salon winkte der Obersteward den Oberzahlmeister heraus. Nach kurzer Zeit kam er zurück und setzte sich neben Kapitän Selbach und Dr. Hergarten.
»Der Brief ist abgeholt worden«, sagte er keuchend. »Mit einem Trick. Ohnmacht einer Komplizin, die alles durcheinanderbrachte. Man hat den Abholer in der allgemeinen Aufregung nicht gesehen.«
»Und die Komplizin?« brummte Selbach, während er für die Passagiere lächeln mußte.
»Wir haben sofort den Saal durchsuchen lassen, natürlich unauffällig. Als Tänzer verkleidete Matrosen. Das Mädchen im Kostüm einer Zofe war weg.«
»Eine schöne Sauerei und eine noch schönere Blamage.« Selbach sah zur Hergarten. »Was nun?«
»Es geht weiter, Kapitän.« Hergarten nickte Sybilla zu, die sich mit Hopkins unterhielt. Sie verstand sofort. »Wir machen morgen nachmittag meine Party.«
»Die Einladungen werden schon gedruckt.« Selbach begann wieder zu schwitzen. »Glauben Sie wirklich, daß der Sauhund darauf eingeht?«
»Er muß. Er weiß ja nicht, was ich vorhabe. Wir haben nun Kontakt miteinander, wir wissen, worum es geht, und jeder weiß, daß es keinen Ausweg gibt, als zu gehorchen. Nur die Form des Gehorchens, die lasse ich mir nicht aufzwingen. Er wird also kommen.«
Selbach trank mit bebenden Händen sein Glas Wein. »Ich könnte bewaffnete Matrosen auf dem Sonnendeck verstecken.«
»Auf gar keinen Fall! Keine Aktionen, lieber Kapitän. Handeln werde nur ich. Und Sie werden sehen: Meine Aktion genügt, um alle Probleme zu lösen.«
»Gott mit Ihnen!« sagte Selbach leise. Er atmete tief auf. Über alle Weltmeere war er schon gefahren, aber diese Reise nach New York war die längste …
Um drei Uhr verabschiedete sich Graf Sepkinow und ging in seine Kabine. Fünf Minuten nach drei standen Selbach, Sybilla, der I. Offizier und Hergarten in Sepkinows Zimmer. Der Alte hieb gegen die Wände und stieß schauerliche russische Flüche aus.
Im Sessel, wie ein friedlicher Leser, saß Shura Aitmanow. In seinem Rücken stak ein Messer, mit dem ein Zettel gegen die rote Lakaiuniform aufgespießt war.
»Ich komme«, stand auf dem Zettel.
»Das ist kein Mensch mehr«, flüsterte Selbach und mußte sich auf das Bett Sepkinows setzen. »Das kann kein Mensch mehr sein …«
Hergarten nagte an der Unterlippe. Er trat auf Sepkinow zu, der wie irr herumblickte.
»Es tut mir leid, Graf«, sagte er stockend. »Das sollte nicht sein. Ich wollte gerade neues Blutvergießen verhindern. Aber unser Gegner hat besondere Spielregeln. Morgen wird alles vorbei sein, ich verspreche es Ihnen bei allem, was ich glaube. Glauben Sie mir.«
Er wandte sich ab, sah in das gelbe, verzerrte Gesicht Aitmanows und dachte an den gefolterten Heinz Niehoff. Da hatte er kein Mitleid mehr und verließ wortlos die Kabine.
Auf dem Gang, ganz hinten, sah er gerade noch, wie eine Gestalt weghuschte. Ein zierliches Mädchen im Kostüm einer Zofe aus dem Jahre 1900.
Mit einem dumpfen Laut stürzte er vorwärts und lief ihr nach. Aber als er den Quergang erreichte, war sie schon verschwunden. Über die Treppe zum Salondeck, in den geschlossenen Promenaden, hinter dem Kinosaal entlang … er wußte es nicht.
Er wußte nur eins: Die Entscheidung morgen nachmittag würde ihm wenig Ruhm, aber Ruhe bis ans Ende seiner Tage geben.
Die
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