Schwarzer Rauch
verzierte Messingbeschläge geschützt. Sämtliche Zeichen und Lettern waren nicht geschrieben, sondern geprägt. Wie hypnotisiert glitten meine Finger beinahe liebkosend über die mit Goldfarbe gefüllten Buchstaben des Titels:
Umbrae Lunae – Grimoire Lunaris
Darian sah mich erstaunt an. Sein fragender Blick war so offensichtlich, dass ich nicht erst seine Gedanken lesen musste, um darauf antworten zu können. »Ich habe mir gewünscht, ein Buch zu finden, das uns Antworten auf die vielen Fragen gibt. Auf einmal sah ich eine Linie, eine hauchdünne Schnur vor mir, der ich gefolgt bin. Sie hat mich direkt zu dem Buch geführt.«
»Das gehört sicher auch zu deinen Fähigkeiten. Hättest du ein jahrelanges Training hinter dir, wäre es wohl von selbst zu dir geflogen.« Er grinste. Zumindest war er über das »du bist viel mächtiger als ich« hinweg.
»Aber wieso ein Grimoire?«, grübelte er vor sich hin. »Ich dachte, du wolltest etwas zur Geschichte erfahren und nicht nur Zaubersprüche. Grimoires sind Zauberspruch-Sammlungen.«
»Ich habe mich gefragt, wo die gesamte Geschichte der Kinder des Mondes stehen könnte. Ich wollte mehr über die Entstehung des Bösen wissen. Wenn du es so willst, ein Tagebuch der Gemeinschaft. Dieses Buch hier muss die Antwort sein.«
Ich schlug das Buch auf. Auf der ersten Seite wurde der Titel noch einmal in goldenen Lettern wiederholt. Darüber war eine Art Wappen zu sehen. Es trug selbstverständlich ein Mondsymbol in sich. Ich blätterte zur nächsten Seite.
Das Inhaltsverzeichnis war in altdeutscher Schrift geschrieben. Mühsam versuchte ich, die mir nicht geläufigen Buchstaben zu entziffern, als der silberne Faden wie ein Lesebändchen zwischen den Seiten auftauchte. Hastig folgte ich dem Zeichen. Das Kapitel handelte von dem »Tribunal bei Stonehenge«. Die Erinnerung der Eule entsprach tatsächlich der Wahrheit. Ohne Darians Gabe hätten wir das nie herausgefunden.
Die Seiten schienen links oben datiert zu sein, die Sprache oder die Zeichen waren mir jedoch nicht bekannt. So konnte ich nicht herauslesen, wann das Tribunal stattgefunden hatte. Eilig überflog ich den Teil, den Darian mir bereits gezeigt hatte und las begierig, was nach dem Tribunal geschah.
Das Prüfungskomitee setzte sich aus zehn mächtigen Telepathen zusammen, deren Name ich teilweise nicht einmal aussprechen konnte. Sie fanden sich in der Nacht nach dem Tribunal ebenfalls in Stonehenge zusammen.
Stonehenge war früher ein ritueller Ort, der unter anderem für Zeremonien und die Vorhersage der Mond-, Sonnen- und auch Sternenkonstellationen benutzt wurde. Der Mond war hier stets gegenwärtig.
Neben dem Opfer von Helena war auch ein anderer Mensch vor Ort, an dem experimentiert werden sollte. Eine große schwarze Wolke lag über den Erinnerungen von Helenas Opfer, seine Handgelenke wiesen Spuren älterer Schnittverletzungen auf. Ansonsten war nichts Außergewöhnliches zu finden. Der Mensch fühlte sich nach eigenen Aussagen auch prächtig. Die Verletzung zog er sich in jener Nacht zu, in der »etwas Großartiges mit ihm geschah«. Die Telepathen vermuteten, dass Helena das Blut des Mannes für ein Ritual benötigt hatte. Aber sie lagen falsch.
Das Prüfungskomitee benötigte einen ganzen Monat Zeit und verschiedenste »Freiwillige«, um hinter Helenas Geheimnis zu kommen. Mittels eines Wandlungszaubers wurde die Lebensenergie des Mannes mit seinem Herzschlag verbunden und somit in sein Blut gelegt.
Dieses entnahm Helena in größeren, aber nicht tödlichen Mengen, veredelte es mit ein paar magischen Kräutern und einem Zauber. Danach belegte sie das Opfer mit einem Bann und löschte so seine Erinnerung.
»Klingt ja nach Vampiren«, grinste ich Darian an.
»Womit du vermutlich gar nicht so falsch liegst.« Seine Aussage schockierte mich. Schließlich wollte ich nur meine Nervosität etwas überdecken und die Stimmung auflockern.
Darian deutete auf den letzten Absatz der Seite und las laut vor: »Helena wurde des Verrats angeklagt und dem Tribunal vorgeführt. Sie wurde zum Tode verurteilt. Von ihren Gefolgsleuten konnten nicht alle aufgefunden werden. Das Ritual wurde weiter verbreitet. Hinweise verdichteten sich, dass die Blutaufnahme bei manchen von uns zu Anomalien führen konnte. Von unerklärlicher Aggressivität, auch der eigenen Gruppe gegenüber, ist die Rede. Die Kraft jener wuchs stetig, das Bedürfnis nach Blut wurde immer größer. In Griechenland wurden sie von den
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