Schwarzer Regen
erfüllt von einer Mischung aus Ekel, Mitleid und Entsetzen.
»Glauben Sie mir, ich hätte Yvonne niemals etwas angetan. Ich wollte … ich wollte einfach nur ein paar Stunden mit ihr zusammen sein … nicht mehr so allein …«
»So, wie Sie damals mit Ihrer eigenen Tochter zusammen sein wollten?«, fragte Lennard mit scharfer Stimme. »Ist das vielleicht der Grund, warum Ihre Frau mit dem Kind abgehauen ist? Weil Sie Ihre dreckigen Finger nicht von Ihrer eigenen Tochter lassen konnten?«
»Ich hätte ihr doch nie etwas angetan!«, beteuerte Hintermann.
»Lassen Sie ihn«, sagte Berger. »Sie sehen doch, er ist am Ende.«
»Der ist noch lange nicht am Ende«, erwiderte Lennard. »Ich kenne diese Typen nur zu gut. Hinterher heulen sie und bereuen, was sie getan haben. Aber ihren Opfern nützt das wenig – sie sind oft ihr Leben lang psychisch schwer belastet. Manche bringen sich noch Jahre später aus Scham und Schuldgefühlen um. Typen wie der kapieren nicht mal, was sie den Kindern Schreckliches antun!«
|66| Er wandte sich an Hintermann. »Hör zu, Dreckschwein! Du wirst dich freiwillig in psychiatrische Behandlung begeben. Ich werde dich beobachten. Wenn du es nicht machst, komme ich wieder. Und dann sorge ich dafür, dass du den Rest deines Lebens im Rollstuhl verbringst. Kapiert?«
Hintermann nickte, ohne aufzusehen.
»Soll ich einen Arzt rufen?«, fragte Berger.
Hintermann schüttelte den Kopf. »Nein, danke, es geht schon.«
»Kommen Sie«, sagte sie zu Lennard in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Er folgte ihr aus der Wohnung. »Wieso waren Sie eigentlich plötzlich hier?«, fragte er im Korridor.
»Ich bin Ihnen gefolgt. Ich … ich hatte das Gefühl, dass Sie vielleicht eine Dummheit machen.«
Lennard nickte. »Da hatten Sie womöglich recht.«
Ein zaghaftes Lächeln erschien auf Fabienne Bergers Lippen. »Danke noch einmal, dass Sie Yvonne zurückgebracht haben!«
Er lächelte ebenfalls. »Schon gut. Ich …«
Er wusste plötzlich nicht mehr, wie er den Satz beenden sollte. Er hätte ihr die Sache mit den Fotos gern erklärt, hätte ihr gesagt, dass er die Menschen fotografierte, weil er sie mochte, nicht weil er sie bespitzeln wollte. Er hätte ihr gern davon erzählt, dass er sie überwachte, um sie zu beschützen. Doch er wusste, dass das nicht sehr glaubwürdig geklungen hätte, und ihm fehlten einfach die richtigen Worte.
Sie wartete einen Moment. Dann lächelte sie noch einmal flüchtig. »Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen.« Er blickte ihr nach, wie sie mit schwungvollen Schritten den Flur entlanglief, bis sie im Treppenhaus verschwand. Sie sah sich nicht noch einmal nach ihm um.
|67| 7.
»Was soll das heißen, ›wir bringen es nicht‹?« Fassungslos starrte Corinna Faller den Chefredakteur an, der entspannt hinter seinem Schreibtisch saß.
»Welches Wort an diesem Satz verstehst du nicht?«, fragte Dirk Braun ungerührt. Mit seinen wachen, dunklen Augen, der geraden Nase und dem graumelierten Haar hätte er beinahe gutaussehen können, wenn der struppige Vollbart nicht gewesen wäre, den er für das Markenzeichen eines echten Journalisten hielt. Seine Miene war ausdruckslos, fast gelangweilt. Wahrscheinlich freute er sich heimlich, dass er ihr eins auswischen konnte.
Faller beugte sich über den Schreibtisch. »Das kannst du nicht machen! Der angebliche Wohltäter Heiner Benz ein Neonazi – das ist die beste Story, die wir für die nächste Ausgabe haben! Wie willst du denn das Heft sonst füllen, mitten im Sommerloch?«
»Wir bringen Ninas Bericht über die neue Miss Timmendorfer Strand als Aufmacher. Das ist mal ein frisches, junges Gesicht. Die Frau hat noch eine Zukunft!«
»Wie hieß die noch gleich?«, fragte Faller. Eigentlich musste selbst Dirk Braun klar sein, dass die Leser der
Rasant
keine Geschichten über Mädchen mit Zukunft lesen wollten, sondern über Leute, die sie kannten. Miss Timmendorfer Strand, also wirklich!
»Also schön«, sagte Braun mit einem theatralischen Seufzer. »Wir können ja einen Bericht über das Karlsruher Urteil bringen. Immerhin ist ganz schön was los seit der Verkündung. Aber Heiner Benz halten wir da raus.«
»Was?« Faller wusste tatsächlich nicht, worauf Braun |68| hinauswollte. Ein Bericht über das Urteil ohne Heiner Benz? Wie stellte er sich das vor? Wollte er nur andeuten, dass ein bekannter Milliardär ausländerfeindliche Sprüche von sich gegeben hatte, ohne den Namen zu nennen?
»Du fliegst nach
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